Christiane Mende schließt Promotion zur Selbstverwaltung der Glashütte Süßmuth an der Universität Potsdam ab

25.01.2021

Christiane Mende hat am 11. Januar 2021 ihre Dissertation „Spur der Scherben. Die Selbstverwaltung der Glashütte Süßmuth zwischen basisdemokratischem Aufbruch um ‚1968‘ und dem Niedergang der bundesdeutschen Mundglasbranche“ an der Universität Potsdam mit der Gesamtnote „magna cum laude“ abgeschlossen.

Mit der mikrohistorischen Fallstudie zur Glashütte Süßmuth als dem ersten selbstverwalteten  Industrieunternehmen der Bundesrepublik und dem hierin integrierten Vergleich mit acht weiteren Mundglashütten widmet sich Mende den gesellschaftlichen Auf- und Umbrüchen zwischen den 1960er und 1980er Jahren. Im Zentrum der Analyse stehen die Verhältnisse im Betrieb als soziales Handlungsfeld, das sowohl in der 1968er-Forschung als auch in der Diskussion über den ökonomischen Strukturwandel bislang nur wenig ausgeleuchtet wurde.

Durch die Übernahme der Glashütte Süßmuth wollten die Beschäftigten ihre Arbeitsplätze erhalten. Zugleich erhoben sie den Anspruch auf gute Arbeit, gerechte Löhne und demokratische Teilhabe. Die Selbstverwaltung war für viele in der Belegschaft kein zusätzliches abstraktes politisches Ziel, sondern aus den konkreten Erfordernissen der betrieblichen Arbeitsabläufe heraus begründet. Im Belegschaftsunternehmen trafen verschiedene Vorstellungen vom demokratischen Wirtschaften aufeinander, die unmittelbar mit spezifischen Vorstellungen vom richtigen Wirtschaften verknüpft waren und bis zuletzt umkämpft blieben. Offiziell durchgesetzt hatten sich die gewerkschaftlichen Unterstützer mit ihrer repräsentativ-demokratischen Vorstellung. Im Glauben an eine „Objektivität“ in der Betriebs- und Unternehmensführung durch eine „Verwissenschaftlichung“ derselben, befürworteten sie eine klare Hierarchie im Unternehmen. Die Beschäftigten wählten mit den Ausschüssen hingegen eine dezentrale Organisationsform, die in einer rätedemokratischen Tradition stand. Demnach sollten Entscheidungen in einem alle Beschäftigten an ihren jeweiligen Arbeitsplätzen integrierenden Kommunikationsprozess getroffen werden. Der Unternehmensleitung sollte die Aufgabe zukommen, die kollektiven Beschlüsse umzusetzen und deren Einhaltung zu kontrollieren. Diese Vorstellung kam nur in Ansätzen und vorrangig in der betrieblichen Praxis zum Tragen.

Über den Unternehmensvergleich zeigt Christiane Mende auf: Die belegschaftseigene Glashütte Süßmuth stand in erster Linie vor Problemen, für die alle Firmen der Branche Lösungen finden mussten. Und: Die Beteiligung der Beschäftigten an der unternehmerischen Entscheidungsfindung schuf hierfür günstige Voraussetzungen. Denn ihre Betriebsbindung, ihre Kooperationsbereitschaft und vor allem ihre Fähigkeiten sowie ihr in langjähriger Arbeitserfahrung erworbenes körpergebundenes Fertigungswissen gehörten in der arbeitskräfteintensiven Qualitätsproduktion einer Mundglashütte seit jeher zu den wichtigsten Faktoren. Das Aufzeigen von Handlungs- und Entwicklungsoptionen in der Glashütte Süßmuth und in den Vergleichsunternehmen ermöglicht Mende, die Gründe für den Niedergang – jenseits ahistorischer Vorannahmen – zu konkretisieren. Von zentraler Bedeutung ist hierfür die Analyse der sich wandelnden Machtverhältnisse und der diese legitimierenden Vorstellungen vom ökonomisch Vernünftigen bzw. von den ökonomisch notwendigen Entscheidungen, worüber sich (nicht nur) in der selbstverwalteten Glashütte die Konflikte verdichteten.

Die Studie gewährt einen tiefen Einblick in die Dynamiken der betrieblichen Auseinandersetzungen jener Zeit und veranschaulicht deren Auswirkungen für das Management wie auch für das Handeln außerbetrieblicher Akteur*innen (aus Gewerkschaft, Kommunal- und Landespolitik, Banken oder Unternehmensverbänden). Der Fall Süßmuth kann als eine Spur zur Geschichte des basisdemokratischen Aufbruchs in der Arbeitswelt um „1968“ gelesen werden – als Arbeitende ihre Ansprüche selbstbestimmt zum Ausdruck brachten und hiermit den Status Quo der Arbeitsbeziehungen grundlegend infrage stellte.

Christiane Mende forschte als Stipendiatin und Doktorandin am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam in Abteilung II „Geschichte des Wirtschaftens“. Ihr Projekt war Teil des Forschungsprojekts „Moralische Ökonomie? Kollektives Wirtschaften in selbstverwalteten Industrieunternehmen Westeuropas in den 1970er und 1980er Jahren“, das am ZZF von Dr. Anne Sudrow geleitet wurde. Begutachtet wurde die Dissertation von Prof. Dr. André Steiner (ZZF Potsdam / Universität Potsdam) und von Prof. Dr. Alexander Nützenadel (Humboldt-Universität zu Berlin).

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Christiane Mende schließt Promotion zur Selbstverwaltung der Glashütte Süßmuth an der Universität Potsdam ab

25.01.2021

Christiane Mende hat am 11. Januar 2021 ihre Dissertation „Spur der Scherben. Die Selbstverwaltung der Glashütte Süßmuth zwischen basisdemokratischem Aufbruch um ‚1968‘ und dem Niedergang der bundesdeutschen Mundglasbranche“ an der Universität Potsdam mit der Gesamtnote „magna cum laude“ abgeschlossen.

Mit der mikrohistorischen Fallstudie zur Glashütte Süßmuth als dem ersten selbstverwalteten  Industrieunternehmen der Bundesrepublik und dem hierin integrierten Vergleich mit acht weiteren Mundglashütten widmet sich Mende den gesellschaftlichen Auf- und Umbrüchen zwischen den 1960er und 1980er Jahren. Im Zentrum der Analyse stehen die Verhältnisse im Betrieb als soziales Handlungsfeld, das sowohl in der 1968er-Forschung als auch in der Diskussion über den ökonomischen Strukturwandel bislang nur wenig ausgeleuchtet wurde.

Durch die Übernahme der Glashütte Süßmuth wollten die Beschäftigten ihre Arbeitsplätze erhalten. Zugleich erhoben sie den Anspruch auf gute Arbeit, gerechte Löhne und demokratische Teilhabe. Die Selbstverwaltung war für viele in der Belegschaft kein zusätzliches abstraktes politisches Ziel, sondern aus den konkreten Erfordernissen der betrieblichen Arbeitsabläufe heraus begründet. Im Belegschaftsunternehmen trafen verschiedene Vorstellungen vom demokratischen Wirtschaften aufeinander, die unmittelbar mit spezifischen Vorstellungen vom richtigen Wirtschaften verknüpft waren und bis zuletzt umkämpft blieben. Offiziell durchgesetzt hatten sich die gewerkschaftlichen Unterstützer mit ihrer repräsentativ-demokratischen Vorstellung. Im Glauben an eine „Objektivität“ in der Betriebs- und Unternehmensführung durch eine „Verwissenschaftlichung“ derselben, befürworteten sie eine klare Hierarchie im Unternehmen. Die Beschäftigten wählten mit den Ausschüssen hingegen eine dezentrale Organisationsform, die in einer rätedemokratischen Tradition stand. Demnach sollten Entscheidungen in einem alle Beschäftigten an ihren jeweiligen Arbeitsplätzen integrierenden Kommunikationsprozess getroffen werden. Der Unternehmensleitung sollte die Aufgabe zukommen, die kollektiven Beschlüsse umzusetzen und deren Einhaltung zu kontrollieren. Diese Vorstellung kam nur in Ansätzen und vorrangig in der betrieblichen Praxis zum Tragen.

Über den Unternehmensvergleich zeigt Christiane Mende auf: Die belegschaftseigene Glashütte Süßmuth stand in erster Linie vor Problemen, für die alle Firmen der Branche Lösungen finden mussten. Und: Die Beteiligung der Beschäftigten an der unternehmerischen Entscheidungsfindung schuf hierfür günstige Voraussetzungen. Denn ihre Betriebsbindung, ihre Kooperationsbereitschaft und vor allem ihre Fähigkeiten sowie ihr in langjähriger Arbeitserfahrung erworbenes körpergebundenes Fertigungswissen gehörten in der arbeitskräfteintensiven Qualitätsproduktion einer Mundglashütte seit jeher zu den wichtigsten Faktoren. Das Aufzeigen von Handlungs- und Entwicklungsoptionen in der Glashütte Süßmuth und in den Vergleichsunternehmen ermöglicht Mende, die Gründe für den Niedergang – jenseits ahistorischer Vorannahmen – zu konkretisieren. Von zentraler Bedeutung ist hierfür die Analyse der sich wandelnden Machtverhältnisse und der diese legitimierenden Vorstellungen vom ökonomisch Vernünftigen bzw. von den ökonomisch notwendigen Entscheidungen, worüber sich (nicht nur) in der selbstverwalteten Glashütte die Konflikte verdichteten.

Die Studie gewährt einen tiefen Einblick in die Dynamiken der betrieblichen Auseinandersetzungen jener Zeit und veranschaulicht deren Auswirkungen für das Management wie auch für das Handeln außerbetrieblicher Akteur*innen (aus Gewerkschaft, Kommunal- und Landespolitik, Banken oder Unternehmensverbänden). Der Fall Süßmuth kann als eine Spur zur Geschichte des basisdemokratischen Aufbruchs in der Arbeitswelt um „1968“ gelesen werden – als Arbeitende ihre Ansprüche selbstbestimmt zum Ausdruck brachten und hiermit den Status Quo der Arbeitsbeziehungen grundlegend infrage stellte.

Christiane Mende forschte als Stipendiatin und Doktorandin am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam in Abteilung II „Geschichte des Wirtschaftens“. Ihr Projekt war Teil des Forschungsprojekts „Moralische Ökonomie? Kollektives Wirtschaften in selbstverwalteten Industrieunternehmen Westeuropas in den 1970er und 1980er Jahren“, das am ZZF von Dr. Anne Sudrow geleitet wurde. Begutachtet wurde die Dissertation von Prof. Dr. André Steiner (ZZF Potsdam / Universität Potsdam) und von Prof. Dr. Alexander Nützenadel (Humboldt-Universität zu Berlin).

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