Desertion in der Diktatur. Die Strafverfolgung fahnenflüchtiger Soldaten der Nationalen Volksarmee 1962-1989 als Legitimationsdiskurs und Herrschaftstechnik (Arbeitstitel)

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Berlin, Mauerbau, NVA-Einheit Pardella, Bundesarchiv, Bild 183-85455-0001 / CC-BY-SA 3.0, Foto: Bundesarchiv Bild 183-85455-0001, Berlin, Mauerbau, NVA-Einheit Pardella / CC-BY-SA 3.0

Beginn des Projektes
May 2021

Asociated PhD project

Fahnenflucht war in der DDR wahrlich kein Kavaliersdelikt – nicht nur aufgrund der möglichen Höchststrafe von zehn Jahren Freiheitsentzug. So führte das DDR-Justizministerium im offiziellen Kommentar zum Strafgesetzbuch aus: „Fahnenflucht ist eine der schwersten Militärstraftaten, die eine Militärperson begehen kann. […] Der Täter offenbart in der Regel nicht nur eine negative Haltung zu seinen militärischen Grundpflichten, sondern zum sozialistischen Staat überhaupt. Daher ist die Fahnenflucht nicht schlechthin ein Delikt des militärischen Ungehorsams, sondern vom Wesen her ein Treuebruch gegenüber dem sozialistischen Vaterland.“ Die Charakterisierung der Fahnenflucht als „Treuebruch“ bzw. als „Verrat“ am Staat, an der Gesellschaft oder am Sozialismus ist ein Topos, der in den Quellen der staatlichen Akteure immer wieder bemüht wird. Demzufolge lautet die übergeordnete These, dass im Kontext der SED-Diktatur, des Kalten Krieges und der Durchmilitarisierung der DDR-Gesellschaft der Straftatbestand der Fahnenflucht eine außerordentliche Bedeutungsaufladung erfuhr, sodass die Strafverfolgung nicht nur ein gewöhnlicher Akt der Rechtspflege, sondern darüber hinaus Bestandteil eines Legitimationsdiskurses, Herrschaftstechnik und ein nicht zu unterschätzendes Element der Diktaturdurchsetzung war.

Fahnenflucht in der DDR kann nicht (nur) als ein objektiver Straftatbestand, sondern als Resultat erfolgreicher und machtvoller Zuschreibungsprozesse verstanden werden. Ein Untersuchungsziel der Arbeit ist daher die diskursanalytische Fragestellung, wie die verschiedenen staatlichen Akteure – insbesondere Ministerium für Staatssicherheit, NVA, Militärjustiz, Justizministerium und SED –  auf den verschiedenen Hierarchie- und Öffentlichkeitsebenen über die Fahnenflucht kommunizierten und damit den Tatbestand konstruierten. Worin sahen sie die Wesensmerkmale und Ursachen für das Fahnenfluchtgeschehen? Welche Motive wurden den Deserteuren unterstellt? Inwiefern wurde der „dauerhafte Entzug aus dem Wehrdienst“ seitens der staatlichen Akteure moralisiert, ideologisiert oder politisiert?

Die Dissertation spürt der Frage nach, wie das Phänomen der Fahnenflucht, die politische Wahrnehmung dieses Problems und die staatlichen Verfolgungspraktiken sich wechselseitig formiert haben. Dabei geht es auch um das Ausmaß und die Funktion der Bestrafung. Die Strafverfolgung von Fahnenflucht kann als Konstruktion und Inszenierung staatlicher Hoheitsgewalt angesehen werden, da hierbei originäre Rechte souveräner Staaten wie das Existenzrecht einer (Wehrpflicht-)Armee sowie die strafrechtliche Absicherung derselben manifestiert werden. Letztlich interessiert also die übergeordnete Fragestellung, inwiefern ein reguläres Rechtsinstrument in den Repressionskontext einer Diktatur gestellt wurde bzw. inwiefern sich eine Doppelfunktion des Rechtssystems im „(Un-)Rechtsstaat DDR“ ausmachen lässt.


Das Dissertationsprojekt ist Bestandteil des BMBF-Forschungsverbundes „Landschaften der Verfolgung“ und wird durch Prof. Dr. Thomas Schaarschmidt und Prof. Dr. Thomas Lindenberger betreut.

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Foto: Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen

Konstantin Neumann

Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung
Am Neuen Markt 1
14467 Potsdam

Email: konstantin.neumann [at] zzf-potsdam.de


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