Leben im Paradigma des Verhaltens.
Verhaltensbeobachtungen und Verhaltensregulierungen im 20. Jahrhundert
Veranstalter
Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam
Um Anmeldung wird gebeten bis zum 2. Dezember 2015 per Mail an: ramsbrock [at] zzf-potsdam [dot] de
Eine Teilnahmegebühr wird nicht erhoben.
Programm des Workshops (pdf)
Hat das „Verhalten“ eine Geschichte? Auf den ersten Blick scheint diese Frage absurd zu sein. Menschen haben sich immer irgendwie verhalten, historische Arbeiten untersuchen dieses Verhalten, und der Begriff ist alltags-sprachlich ubiquitär. Umso erstaunlicher ist es da, dass er erst Mitte des 20. Jahrhunderts in deutschsprachigen Konversationslexika auftauchte und von da an eine rasante Karriere machte. Der Brockhaus verwies bei der ersten Erwähnung 1964 unter dem Lemma „Verhalten“ auf die Verhaltensforschung, die sowohl auf das Ver-halten von Menschen als auch von Tieren bezogen sein könne. Als wissenschaftlicher Begriff unterschied sich „Verhalten“ vom „Handeln“ oder moralischen Kategorien, insofern der Begriff die Grenze zwischen der menschlichen und der animalischen Welt überbrückte. Als Bezeichnung für offene und verborgene Zustands-änderungen von Organismen, umfasste der Begriff zudem nicht nur den Bereich des Willkürlichen und intenti-onal Steuerbaren, sondern auch des Unwillkürlichen, Reflexhaften und nur bedingt Kontrollierbaren.
Im Lauf des 20. Jahrhunderts versuchten eine Reihe von Wissenschaften, menschliches Verhalten möglichst exakt zu beobachten und zu erklären, und nach dem Zweiten Weltkrieg vollzog sich vor allem in den Vereinigten Staaten eine Reorganisation der Sozialwissenschaften unter dem Label des Verhaltens. Während sich die Geschichte der Behavioral Sciences in den letzten Jahren größeren Forschungsinteresses erfreut hat, gilt dies nicht für die Geschichte der Verhaltenswissenschaften und des Verhaltens in der Bundesrepublik Deutschland. Auch hier urteilten jedoch die Autoren des Historischen Wörterbuchs der Philosophie angesichts seiner vielfältigen wissenschaftlichen Fundierung und Ausdifferenzierung habe der Begriff des „Verhaltens“ vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts „in den naturwissenschaftlich ausgerichteten Disziplinen im wahrsten Sinne des Wortes Epoche gemacht“. Komposita wie Verhaltensänderung, Verhaltensmodifikation, Verhaltensstörung und Wendungen wie abnormes und abweichendes Verhalten, oder zielgerichtetes und zu-lässiges Verhalten, seien aus der Wissenschafts- in die Alltagssprache eingegangen. Nicht zuletzt aufgrund dieser Ausdifferenzierung erfolgt die wissenschaftliche und alltagssprachliche Verwendung des Begriffs „Verhalten“ heute so selbstverständlich, dass es schwer fällt, die Kategorie überhaupt als gewordene und zudem noch als eine verhältnismäßig junge zu begreifen.
Nicht zuletzt aufgrund seiner häufigen Verwendung als unreflektierter Analysebegriff in der Ge-schichtswissenschaft, scheint es geboten, nach der Historizität des Verhaltens selbst zu fragen. Ausgehend von den verschiedenen disziplinären Zusammenhängen, in denen der Begriff des Verhaltens auftauchte, wird der Workshop der Frage nachgehen, ob es sich dabei um mehr als ein bloßes Label handelte: Wie wurde Verhalten jeweils definiert und mit welchen Methoden wurde es zu erfassen gesucht? Inwiefern unterschied sich der Zugriff auf menschliches Verhalten von alternativen Beschreibungsformen wie zum Beispiel über den Begriff des Handelns oder Kategorien der Moral? Darüber hinaus soll anhand von ausgewählten Praxisfeldern der Frage nachgegangen werden, welche Bedeutung der Aufschwung der Verhaltenswissenschaften für die Beein-flussung, Steuerung und Regulierung gesellschaftlicher Prozesse hatte.
PROGRAMM:
Freitag, 4. Dezember 2015
13.00-13.30
Rüdiger Graf/Annelie Ramsbrock: Begrüßung und Einführung
13.30 – 14.45 Ökonomie
Moderation: Ralf Ahrens
Anne Sudrow: Walden, too: Alternative Ökonomie als angewandte Verhaltensforschung
Brigitta Bernet: Verhaltensmanagement
14.45-15.15 Kaffeepause
15.15 –16.45 Devianz und Therapie
Moderation: Rüdiger Graf
Annelie Ramsbrock: Resozialisierung oder der Ort des Verhaltens in der juristischen Anthropologie
Jens Elberfeld: Verhaltenstherapie
Constantin Goschler: Verfassungsfeinde zwischen Ideologie und Verhalten
16.45-17.15 Kaffeepause
17.15 – 18.30 Körper und Substanzen
Moderation: Annelie Ramsbrock
Maren Möhring: Essverhalten und Ernährungsverhalten
Jakob Tanner: Sucht. Zwangsverhalten und Kritik der Verhaltenszwänge
19.00 Gemeinsames Abendessen
Samstag, 5. Dezember
9:30-10.45 Körper und Gesundheit
Moderation: Kathrin Kollmeier
Hannah Ahlheim: Schlafverhalten
Malte Thiessen: Gesundheitsverhalten
10.45 - 11.00 Kaffeepause
11.00 - 12.15 Erziehung und Steuerung
Moderation: Franziska Rehlinghaus
Frank Bösch: Medienverhalten
Till Kössler: Verhaltenserziehung
12.15-13.00 Mittagessen
13.00 – 14.30 Sicherheit und Umwelt
Moderation: Christian Geulen
Kai Nowak: Vom „Unfäller“ zum „Könner“. Expertendiskurse zum Verkehrsverhalten in der Bundesrepublik DeutschlandThomas Lindenberger: „Sicherheit am Arbeitsplatz!“. Arbeitsschutz zwischen technischen Maßnahmen und Verhaltenssteuerung
Rüdiger Graf: Umweltverhalten – Entstehung, Erfassung und Beeinflussung
14.30 -15.00 Abschlussdiskussion
Tagungsprogramm (pdf)
Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam
Großer Seminarraum
Am Neuen Markt 9 d
14467 Potsdam
Priv-Doz. Dr. Rüdiger Graf
Am Neuen Markt 9d, Raum 2.00
Tel.: 0331/74510-129
Fax: 0331/74510-143
E-Mail: graf [at] zzf-potsdam [dot] de
Dr. Annelie Ramsbrock
Am Neuen Markt 9d, Raum 2.02
Tel.: 0331/74510-127
Fax: 0331/74510-143
E-Mail: ramsbrock [at] zzf-potsdam [dot] de