Zeit: 18 bis 20 Uhr
Nach dem Niedergang des Staatssozialismus in den Ländern Ost- und Ostmitteleuropas erwarteten viele, dass es zu einer Renaissance des Religiösen kommen werde. Und das mit guten Gründen. Die staatssozialistischen Systeme verfolgten über Jahrzehnte hinweg eine repressive Kirchenpolitik, der es darum ging, die Gläubigen von den Kirchen zu entfremden und die kirchlichen Handlungsmöglichkeiten einzuschränken. Viele Religionssoziologen nahmen daher an, Religion und Kirche würden nach dem Untergang des kirchenfeindlichen Systems an sozialer Signifikanz gewinnen. Tatsächlich ist die religiöse Situation in Ost- und Mittelosteuropa heute äußerst divers. Neben Ländern wie Russland oder der Ukraine, in denen es zu einer Wiedergeburt des orthodoxen Christentums kam, stehen Länder wie Ostdeutschland, Tschechien oder Estland, die eher durch eine weitergehende Säkularisierung geprägt sind, aber auch Länder wie Polen oder Kroatien, in denen aufgrund der engen Verbindung von religiöser und nationaler Identität die Kirche nach wie vor eine starke gesellschaftliche Stellung besitzt. Der Vortrag zeichnet nicht nur charakteristische Linien der religiösen Entwicklung seit dem Zusammenbruch des Staatssozialismus nach, sondern fragt auch nach plausiblen Erklärungen für die diversen Verläufe. Dabei geht er darauf ein, welche Bedeutung Formen der Vermischung von Religion und Politik sowie von rechtspopulistischen Einstellungen und Religiosität zukommt, aber auch welchen Einfluss Prozesse der nachholenden Modernisierung auf das religiöse Feld ausüben.
Zur Ringvorlesung:
Vor 30 Jahren wurden die kommunistischen Diktaturen in Mittel- und Osteuropa überwunden. Seitdem steht die Chiffre »1989« für das Wunder der friedlichen Revolution und das Versprechen demokratischer Freiheiten. Tatsächlich hat der revolutionäre Aufbruch zwar umfassende politische und gesellschaftliche Umwälzungen bewirkt. Doch langfristig wurden damit in den Ländern des ehemaligen »Ostblocks« auch Entwicklungen an-gestoßen und Bewegungen mobilisiert, die die Werte und erkämpften Rechte von damals heute wieder in Frage stellen. Dabei schrecken ihre Vertreter nicht davor zurück, für ihre An-liegen auch mit einstigem Revolutions-Vokabular zu werben.Das Jubiläum bietet die Chance einer doppelten Neuvermessung. Die Ringvorlesung diskutiert erstens »1989« als Teil einer »langen Wende« von der geteilten Welt zum geeinten Europa und zweitens als Referenzpunkt gesellschaftlicher Krisenentwicklungen der Gegenwart. Damit eröffnet die Vortragsreihe neue Perspektiven auf das »Erbe von 1989« und eine Standortbestimmung sowohl der Berliner Republik als auch des heutigen Europas.
Veranstalter der Ringvorlesung "1989 - (k)eine Zäsur?":
Lehrstuhl für Neueste und Zeitgeschichte der Humboldt-Universität zu Berlin
Stiftung Berliner Mauer
Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam
In Kooperation mit:
Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
Konzeption der Ringvorlesung:
MARTIN SABROW
GERHARD SÄLTER
TILMANN SIEBENEICHNER
PETER ULRICH WEISS
Weitere Termine der Ringvorlesung:
27.11.2019
KERSTIN BRÜCKWEH / ANJA SCHRÖTER (Erfurt / Berlin)
Recht und Gerechtigkeit: Scheidungskulturen und Eigentumsverhältnisse im Umbruch
Ort: Stiftung Berliner Mauer
04.12.2019
HANNES GRANDITS (Berlin)
Institutionelle (Reform)-Blockaden und der Zerfall der jugoslawischen Staatsidee: Die Jahre vor und nach 1989
Ort: Humboldt-Universität
11.12.2019
JAN C. BEHRENDS (Potsdam)
Der stille Putsch: Konturen der russischen Gegenrevolution seit den 1990er Jahren
Ort: Bundesstiftung Aufarbeitung
18.12.2019
ANDRÉ STEINER / ALEXANDER NÜTZENADEL / ANDREAS ECKERT (Potsdam / Berlin / Berlin)
Von der bipolaren zur globalisierten Welt: Das Ende des Staatssozialismus und die »neue Unübersichtlichkeit« internationaler Ökonomie
Ort: Stiftung Berliner Mauer
08.01.2020
JENS GIESEKE (Potsdam)
Die ostdeutsche Volksmeinung: Wie demokratisch war die DDR-Bevölkerung?
Ort: Humboldt-Universität
15.01.2020
DOROTHEE WIERLING / ANNETTE LEO (Hamburg / Berlin)
Familienumbrüche: Die »lange Wende« als Generationenkonflikt
Ort: Bundesstiftung Aufarbeitung
22.01.2020
MANDY TRÖGER / PETER ULRICH WEISS (München / Potsdam)
Mediales Erbe: Das Nachleben der DDR in Presse und Fernsehen
Ort: Stiftung Berliner Mauer
29.01.2020
PETER BRANDT (Hagen)
Sozialismus am Ende? Metamorphosen der deutschen Linken nach 1989
Ort: Humboldt-Universität
05.02.2020
NENAD STEFANOV (Berlin)
Zwischen Ethnos und Demos: Territorialität, kulturelle Grenzen und politische Zugehörigkeit in Ostmittel- und Südosteuropa seit 1989
Ort: Bundesstiftung Aufarbeitung
12.02.2020
ANNA KAMINSKY / CHRISTINA MORINA / GERHARD SÄLTER (Berlin / Jena / Berlin)
Aufarbeitung und Wissenschaft zwischen Kooperation und Konflikt
Ort: Stiftung Berliner Mauer
Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
Kronenstraße 5
10117 Berlin
Der Eintritt zu allen Vortragsterminen der Reihe ist frei.
Eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Die Veranstaltungen werden in Ton und Bild dokumentiert und u.U. veröffentlicht.