Das deutsche Halbtagsmodell in Grund- und Vorschulen - ein europäischer Sonderweg?

Bildinfo

Art der Veranstaltung
Tagung
Datum
-
Ort
Köln

Ganztägige Betreuung und Bildung in Grund- und Vorschulen sind in fast allen europäischen Wohlfahrtsstaaten der Normalfall - in der Bundesrepublik Deutschland dagegen nicht.

Wie und warum sich der bundesdeutsche Weg zum Habtagsmodell in der öffentlichen Bildung von der Entwicklung anderer europäischer Länder unterscheidet, ist Gegenstand einer internationalen und interdisziplinären Tagung zur Zeitpolitik von Kindergärten und Schulen im europäischen Vergleich.

Im Vergleich zu Ländern wie Frankreich, Dänemark und Schweden ist in der Bundesrepublik das ganztägige Angebot für Vor- und Grundschulkinder außerordentlich gering. Lediglich fünf Prozent aller Grundschulkinder besuchen derzeit eine Ganztagsschule und nicht mehr als 14 Prozent der Sechs- bis Zehnjährigen werden im Bundesdurchschnitt nach dem Unterricht in einem Hort betreut. Überdurchschnittlich oft sind es die Kinder von Alleinerziehenden. Verheiratete Eltern haben vor allem im Westen nur selten einen Anspruch auf einen Hortplatz.

Damit stellt sich das Problem der Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der Bundesrepublik in besonderem Maße. Vor allem Frauen, die im Alltag nach wie vor überwiegend für die Betreuung und Erziehung von Kindern zuständig sind, haben erhebliche Probleme, ihre berufliche Karriere mit den Familienpflichten zu vereinbaren. Eine Konsequenz ist der dramatische Rückgang der Geburtenzahlen, der in der Bundesrepublik stärker ausgeprägt ist als in den meisten anderen Ländern Europas, vor allem bei Frauen mit einer akademischen Ausbildung. Nur Italien und Österreich, die ebenfalls an der Tradition des Halbtagssystems festgehalten haben, weisen vergleichbare niedrige Zahlen auf.

Da diese Entwicklung weitreichende Konsequenzen für die Zukunft des Sozialstaates hat, wird das bundesdeutsche Halbtagssystem in den sozialpolitischen Debatten zunehmend in Frage gestellt. Doch auch in den bildungspolitischen Diskussionen wird es immer häufiger kritisiert. Da deutsche Schulkinder in den internationalen Vergleichsstudien des Program for International Student Assessment (PISA) im Durchschnitt deutlich schlechter abschnitten als Kinder vergleichbarer Industriestaaten, vor allem die schulische Leistungsfähigkeit von Kindern aus benachteiligten sozialen Schichten und mit Migrationshintergrund erhebliche Defizite aufwies, wird als eine strukturelle Lösung neben einer obligatorischen Vorschulerziehung die Einführung des ganztägigen Schulsystems diskutiert. Mittlerweile sprechen sich alle Parteien für einen Ausbau des Ganztagsangebots aus. Einer flächendeckenden Realisierung steht aber bislang nicht nur finanzielle Argumente, sondern auch die ausgeprägte Tradition der (west)deutschen Halbtagsschule selbst entgegen. Aktuelle Reformansätze treffen hierzulande auf erhebliche kulturelle und politische Blockaden, die eine lange Geschichte haben.

Die Tagung fand im Rahmen eines internationalen und interdisziplinären Forschungsprojektes zum Thema "Das deutsche Halbtagsmodell: Ein Sonderweg in Europa? Eine Analyse der Zeitpolitiken öffentlicher Bildung im Ost-West-Vergleich (1945-2000)" statt, das von Prof. Dr. Cristina Allemann-Ghionda (Institut für vergleichende Bildungsforschung und Sozialwissenschaften der Universität zu Köln, Co-Leitung), Prof. Dr. Karen Hagemann (Projektleitung, Technische Universität Berlin und University of North Carolina at Chapel Hill) und Prof. Dr. Konrad Jarausch (Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam) durchgeführt wird.

Im Zentrum des Projekts steht die Analyse von Zeitpolitiken öffentlicher Bildung im Vor- und Grundschulbereich seit Ende des Zweiten Weltkriegs im europäischen Ost-West-Vergleich. Gefragt wird nach den Ursachen für die weit reichenden Differenzen, aber auch grenz- und systemüberschreitenden Gemeinsamkeiten in den nationalen Diskursen und Politiken zur Zeitstruktur der öffentlichen Bildung im Vor- und Grundschulbereich und den Bedingungen, die Reformen hemmen oder fördern.

Die Tagung wurde durch die Volkswagen Stiftung und das Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert.

Informationen zum Vorhaben bietet die Website: www.time-politics.com

Tagungsprogramm (PDF)

Veranstaltungsort

Universität Köln, Hauptgebäude, Albertus-Magnus-Platz

Kontakt und Anmeldung

Weitere Informationen:

Prof. Dr. Karen Hagemann
E-Mail: hagemann [at] unc [dot] edu

Prof. Dr. Cristina Allemann-Ghionda
E-Mail: cristina [dot] allemann-ghionda [at] uni-koeln [dot] de