Abkehr von der Gewalt? Der Umgang der westdeutschen Gesellschaft mit alten und neuen Formen gewaltsamen Handelns

Bildinfo

Art der Veranstaltung
Tagung
Datum
-
Ort
Potsdam

Abkehr von der Gewalt?
Der Umgang der westdeutschen Gesellschaft mit alten und neuen Formen gewaltsamen Handelns

                                  

Veranstalter:
Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF Potsdam)

Konzeption / Organisation:
Thomas Schaarschmidt,  Annelie Ramsbrock,  Winfried Süß, Peter Ulrich Weiß

 

Vergleicht man die bundesdeutsche Gesellschaft mit den Gesellschaften der NS-Zeit oder der Weimarer Republik, fällt ins Auge, dass ihre Gewalthaftigkeit im Laufe der Jahrzehnte signifikant zurückgegangen ist. Gewaltsames Verhalten, so der Eindruck, war im Verlauf der 1970er und 1980er Jahre in Randbereiche abgedrängt und als Residualkategorie weitgehend eingehegt worden. Aus der Perspektive 70 Jahre nach Kriegsende erscheint die „Umkehr“ der (West-)Deutschen (Jarausch, 2004) somit wie ein kollektiver Lernprozess nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs und der NS-Diktatur mit ihrer bespiellosen Massengewalt.

Doch was wie eine Erfolgsgeschichte des zivilisatorischen Fortschritts anmutet, lässt bei näherer Betrachtung Bruchlinien und Ambivalenzen erkennen, die einer vertieften Analyse bedürfen. Zum einen fällt auf, dass sich die Abkehr von der Gewalt auf verschiedenen Ebenen zeitversetzt und in unterschiedlicher Intensität vollzog. Zum anderen wurde die bundesdeutsche Gesellschaft mit der politischen Radikalisierung in den 1960er Jahren und dem Weg in den Terrorismus der 1970er Jahre mit neuen Formen der Gewalt konfrontiert. Auch hatten und haben vielfältige Formen der Mikrogewalt in zahlreichen gesellschaftlichen Teilbereichen ungebrochen überdauert. Dass die gewalthaltigen Darstellungen in den Medien Gewalt auf eine andere – virtuelle – Ebene verlagern, wird ebenfalls argumentiert (Welzer, 2012). Historische Forschungen zur Rolle der Gewalt in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft standen lange Zeit im Schatten der Soziologie, die sich bereits seit den 1980er Jahren mit entsprechenden Phänomenen auseinandergesetzt hatte. Doch inzwischen hat sich eine Reihe von Historikerinnen und Historikern mit innovativen Studien zu Wort gemeldet. Dabei nehmen viele der historischen Untersuchungen Bezug auf aktuelle Problemhorizonte und verstehen sich – unter Einbeziehung der Gewalterfahrungen im Zweiten Weltkrieg, in der NS-Diktatur und auch in der Weimarer Republik – als Beitrag zur Zeit- und Gegenwartsgeschichte.

Ziel des Workshops soll es sein, mit der historischen Erforschung der Funktionen von Gewalt und ihrer Einhegung in verschiedenen Bereichen neue Perspektiven auf den gesellschaftlichen Wandel Westdeutschlands zwischen 1945 und 1989 zu eröffnen. Im Mittelpunkt stehen dabei Fragen nach den mittel- und langfristigen Auswirkungen der Gewalterfahrungen in der ersten Jahrhunderthälfte, nach der Etablierung und Durchsetzung der Standards gewaltfreier Konfliktaustragung in einer pluralistischen und demokratischen Gesellschaft sowie nach den unterschiedlichen Formen der Einhegung von Gewalt und ihrer punktuellen Entgrenzung. Darüber hinaus ist zu diskutieren, in welchem Verhältnis begrenzte und gegebenenfalls gesellschaftlich akzeptierte Formen der Gewalt im sozialen Nahbereich zur Gewaltbereitschaft im großen Maßstab standen (Schumann, 1997). Die Veranstalter erhoffen sich durch die historischen Tiefenbohrungen nicht nur Aufschlüsse zur bundesdeutschen Gesellschaftsgeschichte, sondern auch neue Impulse für die grundlegende Debatte darüber, ob Gewalt in der Geschichte der Neuzeit eher abnimmt (Pinker, 2011), unverändert bleibt (Malešević, 2013) oder sogar zunimmt (Baumann, 1992).

Programmflyer der Fachtagung (pdf) (Stand: 10.11.2015)

Tagungsplakat mit Programm (pdf) (Stand: 06.11.2015)

 

Tagungsprogramm

Donnerstag, 12. November 2015


Einführung (10.15 – 11.15)
Begrüßung

Teresa Koloma Beck (Centre Marc Bloch Berlin)
Die Neuausrichtung der soziologischen Gewaltforschung

Krieg … war früher. Militär in der pazifizierten Gesellschaft (11.45 – 13.30)
Moderation: Frank Bösch (ZZF)

Angelika Dörfler-Dierken (ZMSBw Potsdam)
Die Bedeutung der Inneren Führung für die Ausrichtung der Bundeswehr

Claudia Bade (Hamburg)
Deserteure als Helden – Zum Wandel militärischer Leitbilder nach dem Zweiten Weltkrieg

Daniel Gerster (Universität Münster)
Apostel der Gewaltfreiheit? Die Friedensbotschaft der christlichen Kirchen und die bundesdeutsche Gesellschaft

Kommentar: Thomas Schaarschmidt (ZZF)


Abkehr von der Gewalt als gesellschaftliches Projekt I (14.45-16.30)
Moderation: Peter Ulrich Weiß (ZZF)

Till Kössler (Ruhr-Universität Bochum)
Prügelstrafe, Friedenserziehung und Mobbing – Schulen als Lernorte des Friedens … und der Gewalt

Wilfried Rudloff (Universität Kassel)
Extra und intra muros - Familiäre Gewalt und Gewalt in geschlossenen Einrichtungen

Annelie Ramsbrock (ZZF)
Schlagstock und Sozialtherapie - Gewalt hinter Gittern

Kommentar: Winfried Süß (ZZF)


Abkehr von der Gewalt als gesellschaftliches Projekt II (17.00 – 18.45)
Moderation: Jan Behrends (ZZF)

Christoph Classen (ZZF)
Ventilfunktion oder Brandbeschleuniger – Debatten um die Wirkung von Gewaltdarstellungen in alten und neuen Medien

Andreas Klose (Fachhochschule Potsdam)
Krieg ohne Waffen? – Sport in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft

Armin Pfahl-Traughber (FH des Bundes für öffentliche Verwaltung Brühl)
Von der OC bis zum NSU. Rechtsterrorismus und die Reaktionen darauf von Gesellschaft und Staat

Kommentar: Uta Gerhardt (Berlin)


Freitag, 13. November 2015

Der Umgang der bundesdeutschen Gesellschaft mit neuen Formen politischer Gewalt (9.15 – 11.00)
Moderation: Martin Sabrow (ZZF)

Josef Mooser (Universität Basel)
“Börners Dachlatte” – Gewalt in der deutschen Arbeiterbewegung

Petra Terhoeven (Universität Göttingen)
Klammheimliche Freude? Terrorismus und Gewaltdiskurse in der außerparlamentarischen Linken

Patrick Wagner (Universität Halle)
Vom Granatwerfer zum Deeskalationstraining - die Polizei als Repräsentantin des staatlichen Gewaltmonopols nach innen

Kommentar: Klaus Weinhauer (Universität Bielefeld)


Abschlussdiskussion (11.30 – 13.00)
Mary Fulbrook (University College London)
Schlusskommentar
Ulrich Herbert (Universität Freiburg)
Schlusskommentar

Ein Bericht über die Tagung von Richard Rabensaat: Potsdamer Neueste Nachrichten, 18.11.2015, S. 21.

Veranstaltungsort

Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam
Großer Seminarraum
Am Neuen Markt  9d
14467  Potsdam

Kontakt und Anmeldung

Dr. Annelie Ramsbrock I Dr. Peter Ulrich Weiß
Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam
Am Neuen Markt 1
14467 Potsdam

ramsbrock [at] zzf-potsdam [dot] de I weiss [at] zzf-potsdam [dot] de