In den letzten Jahren rückten Forschung und Öffentlichkeit von der Ansicht ab, Sozialismus und Antisemitismus seien gegensätzlicher Natur, teilweise wurde der politischen Linken eine allgemeine Judenfeindschaft unterstellt. Ohne die problematischen Aspekte dieser Beziehung, angefangen von Karl Marx’ umstrittener Schrift von 1844, zu leugnen, sucht Mario Keßler die historischen Proportionen wieder herzustellen. Er behandelt Positionen der europäischen Arbeiterbewegung zum Antisemitismus. Dabei waren Juden zwar Opfer desselben, bekämpften ihn aber auch aktiv gemeinsam mit ihren nichtjüdischen Genossinnen und Genossen.
Untersucht wird der Zeitabschnitt vom deutschen Vormärz bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges. Die wechselvolle Haltung der Arbeiterbewegung zum Zionismus und zu Palästina findet gleichfalls Beachtung. In zwölf Kapiteln schält der Autor aus der mit Emotionen überladenen Thematik den rationalen Kern heraus.
Der Dokumentenanhang vermittelt zudem ein Gefühl für den Zeitgeist, dessen Ausdrucksformen sich von unserer Gegenwart sehr unterscheiden. Auch wenn die Analysen vor dem faschistischen Vernichtungs-Antisemitismus enden, werden Ursprung und Hintergründe von Denkfiguren angesprochen, die leider auch heute noch lebendig sind.
Mario Keßler, Prof. Dr., Jg. 1955, ist seit seinem Eintritt in den (Un-)Ruhestand Senior Fellow am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam, an dem er von 1996 bis 2021 arbeitete. Er war außerplanmäßiger Professor an der Universität Potsdam, Gastprofessor an der Yeshiva University in New York und unterrichtete an weiteren Universitäten in der DDR, der Bundesrepublik, den USA und Israel. Längere Forschungsaufenthalte führten ihn zudem in die Sowjetunion, nach Polen, Israel und Frankreich.