Verbundprojekt mit Partnern in Prag, Warschau, Jena und Budapest und zwei Teilprojekten in Potsdam
Die Europäische Gemeinschaft betrachtete sich selbst lange Zeit als „Rechtsgemeinschaft“, weshalb sie die zentrale Rolle des Gesetzes im europäischen Prozess als einen „Integrationsprozess durch das Recht“ unterstrich. Rechtsstaatlichkeit, also die Machtbegrenzung von öffentlichen Ämtern durch das Gesetz und die Unabhängigkeit der Justiz, definiert dabei den demokratischen Charakter des europäischen Projekts. Hier stellt das Heranwachsen eines unverkennbaren illiberalen Konstitutionalismus, ein in sich selbst scheinbar widersprüchliches Konzept, in einigen ostmitteleuropäischen EU-Mitgliedern eine erhebliche Herausforderung mit potenziell weitreichenden Konsequenzen für die europäische Integration dar.
Wenngleich das post-kommunistische Ostmitteleuropa ein lebhaftes Labor für die dritte Welle der Demokratisierung war, zeigt der Anstieg „illiberaler Demokratien“ drei Jahrzehnte später das mögliche Scheitern des demokratischen Übergangs in einem post-kommunistischen Umfeld. Dieses Projekt möchte daher erklären, was diesen Ablauf der Ereignisse über das post-sozialistische Europa hinweg ermöglichte. Dafür erforscht es den Aufstieg illiberaler Demokratie durch die Linse illiberaler Rechts- und Verfassungspraktiken und -Vorstellungen, die wiederum als Symptom von Ambivalenzen im Liberalismus verstanden werden.
Das im Rahmen des „Challenges for Europe“ von der VolkswagenStiftung geförderte Projekt verfolgt die Normalisierung „illiberaler Demokratie“ als Alltagspolitik in Europa, weshalb es auch die Gestaltung der europäischen konstitutionellen Demokratie anspricht. Mit Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, die sich sowohl auf die Beispiele Ungarn und Polen fokussieren, wo sich illiberaler Konstitutionalismus auf seinem Zenith befindet, als auch in Tschechien und Ostdeutschland, wo es eine unrealisierte, aber dennoch potenzielle Bedrohung bleibt, macht dieses Projekt das Ausmaß illiberaler Demokratie als Herausforderung für die liberale Rechtsstaatlichkeit innerhalb der Grenzen des post-kommunistischen Europas und darüber hinaus deutlich.
Towards Illiberal Democracy in Germany?
Forschungsprojekte des Teams in Potsdam
Innerhalb dieses ostmitteleuropäischen Kontextes beschäftigen sich zwei Teilprojekte mit den historischen Wurzeln dieser illiberalen Entwicklungen in Deutschland. Seit der Wiedervereinigung beider deutscher Staaten 1990 feiert die politische Kultur des Mainstreams das Jahr 1989 und die Massendemonstrationen in der DDR, die zum Zusammenbruch des Staatssozialismus geführt haben, als einen wichtigen Meilenstein in der modernen Demokratiegeschichte des Landes. So wird 1989 zumeist als Triumph der liberalen Demokratie, konstitutionellen Regierungsform sowie des Rechtsstaats gegenüber illiberalen, autoritären und extremistischen Kräften dargestellt und als solches als gegeben vorausgesetzt. Dieses Mainstream-Narrativ wird nun allerdings von der extremen Rechten herausgefordert, die sich bemüht 1989 und die Friedliche Revolution in der DDR für ihre eigene illiberale Agenda zu übernehmen. Das Potsdamer Team wird verschiedene Aspekte untersuchen, inwiefern die populistische und extreme Rechte anstrebt, die Erinnerung an 1989 zu vereinnahmen, und darüber hinaus das komplexe Beziehungsgeflecht zwischen Populismus, Illiberalismus und der Friedlichen Revolution beleuchten. Das beinhaltet Themen wie rechtspopulistischer Konstitutionalismus, der viel beklagte Rechtsruck ehemaliger ostdeutscher Oppositionellen und die Erinnerungspolitik der extremen Rechten zu 1989.
- Das „Demokratie Paradox“. Die Friedliche Revolution neu gedacht, Sophie Lange
- The Rights of the Volk: Human Rights, the Basic Law and the Far-Right since Reunification, Dr. Ned Richardson-Little
Beide Projekte sind Teil des im Rahmen des von der VW-Stiftung geförderten Verbundprojekts „Towards Illiberal Constitutionalism in East Central Europe: Historical Analysis in Comparative and Transnational Perspectives“.
Weitere Informationen finden Sie hier: https://il-liberal.uni-jena.de/