Rowdytum, ein Begriff, der im russischen Zarenreich für die Ungezogenheit niederer Schichten stand, bezeichnet heute vor allem die Gewaltexzesse von Fußballfans. In der Sowjetunion und im übrigen Ostblock war Rowdytum viel mehr: ein Sinnbild abweichenden Verhaltens, eine unscharf definierte Straftat, ein willkürliches Stigma, das jeden treffen konnte.
Kotalík erforscht das Rowdytum grenzübergreifend und verfolgt dessen Geobiografie von der Sowjetunion in die CS(S)R und in die DDR, von 1956 bis 1989. Seine Bilanz ist ambivalent. Ungeachtet sowjetischer Impulse war der entsprechende Straftatbestand durch eigene Rechtstraditionen beider Länder geprägt. Als Alltagserscheinung markierte Rowdytum die Grenzen des gesellschaftlich Akzeptablen, die in den 1960er Jahren zugleich neu verhandelt wurden. Die Polizeigewalt gegen Außenseiter wandelte sich in einer individualisierten Gesellschaft zunehmend zum Streitpunkt zwischen dem Staat und seinen Bürgern.
Matěj Kotalík veröffentlicht in dem Band die Ergebnisse seiner am ZZF entstandenen Promotion.