Dissertationsprojekt
In meiner Dissertation untersuche ich, wie die Leningrader Jugend das Thema Denkmalschutz in den öffentlichen Raum brachte, um die regionale Politik während der Perestrojka zu beeinflussen.
Das politische Umfeld des spätsowjetischen Leningrads, das für seine Repressionen gegen die Intelligenz und politische Dissidenten berüchtigt war, machte die Denkmalpflege neben anderen kulturellen Anliegen zu einem der wenigen zugänglichen Felder für öffentliche Aktivitäten in der Stadt. Die ersten Jahre der Perestrojka förderten eine Atmosphäre, in der zivilgesellschaftliche Aktivitäten weniger stark als zuvor eingeschränkt wurden, was zur Verbreitung von Jugendgruppen führte, die sich vor allem für die Erhaltung vorrevolutionärer Bauten einsetzten, um sie vor der Zerstörung zu bewahren. Dennoch enthüllten die repressiven Maßnahmen der lokalen Behörden, wie die gesetzliche Einschränkung der Versammlungsfreiheit, die Einflussnahme durch Agenturen und die Unterwanderung, die kurz nach den ersten erfolgreichen Kampagnen gegen die Aktivisten eingeleitet wurden, eine Widersprüchlichkeit der Politik Michail Gorbatschows. Zugleich passten sich die Aktivisten an das sich verändernde Umfeld an und gingen zu einer „großen“ Politik über.
Im Rahmen der Dissertation wird zu klären sein, wie der soziopolitische Kontext des spätsowjetischen Leningrads den Boden für den durch die Perestrojka wiederbelebten Denkmalschutz-Aktivismus bereitete. Warum übernahm die Jugend die Führung im zivilgesellschaftlichen Aktivismus? Warum wurden die politischen Freiheiten, die von oben gefördert wurden, von Repressionen gegen die Anhänger dieser Politik von unten begleitet? Warum scheiterten die Gegenmaßnahmen gegen die Perestrojka von unten und führten zu einer massiven Politisierung der Aktivistinnen und Aktivisten? Bei der Beantwortung dieser Fragen wende ich mich gegen die in der Wissenschaft vorherrschende Auffassung von der Perestrojka als einer primär politischen Kampagne. Stattdessen untersuche ich den Zeitraum als eine komplexe Periode der sowjetischen Geschichte, die nicht einfach als eine Ära der Reformen von oben erklärt werden kann.