Zeit: 18.15 – 19.45 Uhr
Referentin: Stefanie Schüler-Springorum (Berlin)
Der Antisemitismus als politische Bewegung und soziale Haltung erlebte nach dem Großen Krieg einen dramatischen Formwandel, der sich zwar für viele europäische Länder nachzeichnen lässt, in den Verliererstaaten jedoch von besonderer Virulenz war. Aus dem „kulturellen Code“, der im deutschen Kaiserreich das liberale und konservative Lager voneinander unterschieden, aber sich vor allem im bürgerlichen Milieu manifestiert hatte, wurde in den Jahren der Weimarer Republik ein Instrument zur politischen Mobilisierung auf ganz unterschiedlichen Ebenen. Während sich die Zeitungsleser über medial breit ausgeschlachtete Finanzskandale empören konnten, mussten sich einzelne Wirtschaftszweige in der Provinz mit hartnäckigen Boykottanstrengungen auseinandersetzen. Im Reichstag camouflierten die offen xenophoben Debatten zur Zuwanderung aus Osteuropa nur schwach ihre judenfeindliche Absicht, während sich Kommunalpolitiker immer häufiger mit explizit antisemitischen Anträgen und Initiativen konfrontiert sahen. All dies wurde überschattet von politischen Morden und steigender Straßengewalt, so dass zumindest aus Sicht jüdischer AktivistInnen von den „guten Jahren“ der Weimarer Republik kaum gesprochen werden kann, auch wenn die Einschätzung der aktuellen Gefährdung sehr unterschiedlich ausfiel.
Der Vortrag findet statt im Rahmen der Ringvorlesung "Weimars Wirkung. Das Nachleben der ersten deutschen Republik":
Fast drei Jahrzehnte nach der deutsch-deutschen Vereinigung verdient die Weimarer Republik zum hundertjährigen Jubiläum ihrer Entstehung neue Aufmerksamkeit. Die Ringvorlesung diskutiert die verpassten Chancen und die strukturellen Defizite, fragt aber auch nach langfristigen und womöglich bis heute anhaltenden Wirkungen der ersten deutschen Republik. Gegenüber einer Verengung des Blicks auf die vielbeschworenen „Weimarer Verhältnisse“ als Vorspiel zu den Ereignissen nach 1933 unternimmt die Ringvorlesung einen doppelten Perspektivwechsel: Einerseits fragt sie nach der Eigenart und dem Stellenwert der ersten deutschen Republik innerhalb der längeren Geschichte, andererseits sucht sie die Bedeutung der mit „Weimar“ verbundenen Kultur des Politischen für ihre Nachgeschichte bis in die Gegenwart zu erörtern.
Veranstalter:
Lehrstuhl für Neueste und Zeitgeschichte der Humboldt-Universität zu Berlin
Stiftung Topographie des Terrors Berlin
Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam
in Kooperation mit:
Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
Deutsches Historisches Museum Berlin
Flyer mit allen Terminen der Reihe (pdf)
Weitere Termine der Reihe:
28.01.2019 | Zeughauskino
Sebastian Ullrich (München)
Der Weimar-Komplex. Die erste deutsche Republik als politisches Lehrstück und persönlicher Erfahrungsraum im geteilten Deutschland
11.02.2019 | Bundesstiftung Aufarbeitung
Claudia Weber (Frankfurt/O.)
Feindbild und Partnerschaft. Die Geburt von Russlandverständnis und Bolschewistenfurcht in der Weimarer Republik
29.04.2019 | Topographie des Terrors
Michael Wildt (Berlin)
Die „Volksgemeinschaft“ als Antwort auf die fragmentierte Republik von Weimar
13.05.2019 | Zeughauskino im DHM
Andreas Nachama (Berlin)
Die Entwicklung der NSDAP von einer völkischen Bewegung zu einer modernen Volkspartei
27.05.2019 | Bundesstiftung Aufarbeitung
Frank Bösch (Potsdam)
Sehnsucht nach Einheit: Weimars Erbe in der politischen Kultur der Bundesrepublik
17.06.2019 | Topographie des Terrors
Andreas Wirsching (München)
Weimar als politisches Argument
01.07.2019 | Bundesstiftung Aufarbeitung
Gerd Koenen (Frankfurt am Main)
Das Erbe der Spaltung. Die Linke in Ost und West zwischen Totalitarismus und Demokratie
15.07.2019 | Zeughauskino im DHM
Peter C. Caldwell (Houston)
Weimar Ausstellen. Die erste deutsche Republik und ihre Musealisierung
Dokumentationszentrum Topographie des Terrors Berlin, Niederkirchnerstraße 8, 10963 Berlin
Der Eintritt zu allen Vortragsterminen der Reihe ist frei und ohne Anmeldung möglich.