Forschungsprojekt
Seit den späten 1980er Jahren ist Volksmusik im Osten Deutschland ein Massenphänomen. Bereits kurz vor der Wiedervereinigung hatte das ‚Musikantenstadl‘ die zweithöchsten DFF-Einschaltquoten, übertroffen nur von der ‚Aktuellen Kamera‘. Langfristig sollte aus der nicht-fiktionalen Unterhaltungssparte der DDR-Fernsehlandschaft allein die MDR-Volksmusik in der gesamtdeutschen ARD reüssieren.
Abgesehen von seinen Fans und als Aufhänger (westdeutscher) Kulturkritik fand der volkstümliche Schlager bisher kaum Beachtung. Inwiefern in den verschiedenen Formaten inhaltliche Traditionen aus der DDR übernommen und transformiert wurden, blieb daher ebenso unerforscht, wie die Gründe für die Beliebtheit des Massenphänomens. Hypothesenhaft lässt sich formulieren, dass auf den Ebenen von Text, Bild und Performanz in der Volksmusik Tradition und Identität zentrale Rollen spielen. Was diese ausmacht ist, musste in den Neuen Ländern der 1990er Jahre neu verhandelt und konfiguriert werden. Regionale Traditionen verschmolzen mit Identitätsankern aus der DDR und neue alte imagined communities entstanden im veränderten deutsch-deutschen Kontext. Was machte sie aus, wie verhielt man sich zu westdeutschen Regionalismus und zur unmittelbaren staatssozialistischen Vergangenheit?
Diese Fragen sollen mit den Methoden der Popgeschichte bearbeitet werden und performative und emotionale Aspekte miteinschließen. (Mrozek/Geisthövel). Im Zentrum stehen dabei die mediale Repräsentation der Musik, spezielle Magazine und Sampler, sowie nicht zuletzt die Volksmusiksendungen des MDR. Der Blick wird außerdem auf die Karrieren vor und hinter den Kulissen gerichtet werden. Zentral sind Menschen wie Carmen Nebel und Achim Mentzel, die ihre DDR-Karrieren fortsetzten, aber auch der westdeutsche Wendepraktiker wie Henning Röhl, der für den MDR die „Feste der Volksmusik“ erfand.
In der bestehenden Forschung zur „Wiedervereinigungsgesellschaft“ (Großbölting) fehlen kulturhistorische Aspekte meist (ISK). Die Erforschung ostdeutscher Volksmusik würde diese Lücke schließen und gleichzeitig mit der historiografischen Tradition brechen, mehr oder weniger politische Pop-Avantgarden zu erforschen.