Informieren, diskutieren, überzeugen? Der Bürgerdialog Kernenergie (1974-1983). Staatliches Handeln in der bundesdeutschen Atomkraftkontroverse

Luftaufnahme eines Waldes und eines Gewässers. Das Bild ist diagonal aufgeteilt, die obere linke Hälfte wird vom Wald eingenommen, der andere Teil vom Gewässer.

Bildinfo

Fotocredit: Andreas Gucklhorn via Unsplash

Art der Veranstaltung
Kolloquium
Datum
-

Erste Veranstaltung des Colloquiums für Umweltgeschichte Wintersemester 2024/25.

Online via Zoom von 18 bis 20Uhr.

Zum Vortrag

Britta Oertel/Jan-Henrik Meyer (Berlin):
Informieren, diskutieren, überzeugen? Der Bürgerdialog Kernenergie (1974-1983). Staatliches Handeln in der bundesdeutschen Atomkraftkontroverse

Auch nach dem Atomausstieg 2023 bleibt mit der Suche nach dem Endlager für hochradioaktiven Abfall das Thema der gesellschaftlichen „Akzeptanz“ nuklearer Anlagen weiter auf der politischen Tagesordnung, und damit auch Fragen von Bürgerinformation und zivilgesellschaftlicher Partizipation. Nicht zuletzt deshalb lohnt sich ein Blick zurück: Wie haben zu Zeiten des Ausbaus der Atomkraft in den 1970er Jahren staatliche Akteure versucht, Bürgerinnen und Bürger zu informieren und mit ihnen zu diskutieren, nicht zuletzt mit dem Ziel, sie zu überzeugen?
Angesichts von fast 100.000 Eingaben gegen den Bau des geplanten Reaktors im badischen Wyhl, einigten sich Regierungschefs von Bund und Ländern Ende 1974 im Grundsatz auf eine gemeinsame „Aufklärungsaktion zur Unterrichtung der Öffentlichkeit über die Notwendigkeit des Baues von Kernkraftwerken, die Sicherheitsanforderungen und die Auswirkungen auf die Umwelt“. Zuständig wurde das Bundesministerium für Forschung und Technologie, das den Begriff „Bürgerdialog Kernenergie“ prägte. Dieser Vortrag stellt die wichtigsten Ergebnisse der kürzlich fertiggestellten, vom Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) finanzierten und vom IZT (Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung) Berlin, Dialogik Stuttgart und dem Gorleben Archiv erstellten Studie über den „Bürgerdialog Kernenergie (1974-1983) – Staatliches Handeln in der Auseinandersetzung um die nukleare Entsorgung und seine Bedeutung für das heutige Standortauswahlverfahren“ vor. Diese rekonstruiert erstmals umfassend diese fast völlig vergessene, aber sehr umfangreiche, vielfältige und in vielerlei Hinsicht innovative staatlich organisierte Kommunikationsmaßnahme auf breiter Quellenbasis. 
Der Vortrag diskutiert – eingebettet in den historischen Kontext – die Motivationen und Erwartungen aus der Politik, die praktische Umsetzung in Informations- und Dialogaktionen, sowie die gesellschaftliche Wahrnehmung, die sehr relevant für seine Glaubwürdigkeit war. In der kritischen Zivilgesellschaft regten sich rasch Zweifel, ob der Bürgerdialog wirklich „Entscheidungshilfe“, oder doch nur „Durchsetzungsmethode“ sein sollte. Die Studie zeigt die Dilemmata staatlicher Informations- und Kommunikationsaktionen im Rahmen einer in ihren Zielen weitgehend festgelegten Politik. Damit leistet die Studie einen Beitrag nicht nur zur Geschichte von Gesellschaft und Atomkraft in Europa, sondern stellt auch Einsichten bereit, die für zukünftige „Bürgerdialoge“ von Relevanz sind.

Kurzbiographie:
Britta Oertel studierte Informationswissenschaft und Geografie an der Freien Universität Berlin (MA, 1995). Seit 1993 arbeitet sie am Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT) in Berlin. Schwerpunkte ihrer Forschungsarbeit sind Zukunftsstudien und die Analyse von neuen Technologien in Wirtschaft und Gesellschaft. Dabei stehen die Abschätzung und Bewertung von Chancen und Gefahren sowie die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Folgen im Mittelpunkt. Des Weiteren evaluiert sie Förderinitiativen und Programme zur Förderung neuer Technologien und Energiewende u. a. im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, der Europäischen Kommission, des WWF und der Medienanstalt Berlin-Brandenburg. Seit 2013 bearbeitet und leitet sie Projekte im Rahmen der Konsortialmitgliedschaft des IZT beim Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). Ende 2014 wurde sie in den Fachausschuss Wissenschaft der Deutschen UNESCO-Kommission berufen. 2023 wurde sie in die Deutsche UNESCO-Kommission gewählt.

Jan-Henrik Meyer forscht am Max-Planck-Institut für Rechtsgeschichte und Rechtstheorie in Frankfurt a.M. zur Geschichte des EU-Umwelt- und Energierechts, und leitet am IZT Berlin (zusammen mit Britta Oertel) das vom Bundesamt für Strahlenschutz finanzierte Projekt „Diskursgeschichte der EMF-Kritik in Deutschland – Akteure und Positionen“, und 2020-2023 (ebenfalls mit Britta Oertel) das Projekt „Bürgerdialog Kernenergie (1974-1983) – Staatliches Handeln in der Auseinandersetzung um die nukleare Entsorgung und seine Bedeutung für das heutige Standortauswahlverfahren“. Zuvor war er an den Universitäten Kopenhagen und Aarhus, NTNU Trondheim und an der University of Portsmouth tätig. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen die Umwelt- und Energiegeschichte, europäische Integration und Europäische Öffentlichkeit, sowie die Geschichte von Gesellschaft und Atomkraft.

Veranstaltungsort

Online auf Zoom

Meeting-ID: 655 5879 6751
Passwort: 264162

Kontakt und Anmeldung

Astrid M. Kirchhof
astrid [dot] m [dot] kirchhof [at] hu-berlin [dot] de (astrid[dot]m[dot]kirchhof[at]hu-berlin[dot]de)

Jan-Henrik Meyer 
meyer [at] zzf-potsdam [dot] de 

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