Assoziiertes Dissertationsprojekt
Der Nordirlandkonflikt ab Ende der 1960er Jahre entwickelte sich bald von einem lokal ausgetragenen Machtkampf um die staatliche Verfasstheit der Region zu einem modernen, bürgerkriegsähnlichen Konflikt im Westen Europas. Die Troubles ließen Nordirland gleichzeitig zu einem Zentrum transnationalen zivilgesellschaftlichen Engagements werden: Während staatliche Regierungen den Nordirlandkonflikt überwiegend als „innere Angelegenheit“ Großbritanniens behandelten, reisten zahlreiche Aktivist*innen auch aus der bundesdeutschen Neuen Linken, der Friedensbewegung oder aus christlichen Gruppierungen regelmäßig in das „Kriegsgebiet vor der Haustür“, um über die dortigen Ereignisse zu berichten, politische Netzwerke zu knüpfen, sich als Jahresfreiwillige zu engagieren oder als Unterstützer*innen von Konfliktparteien aufzutreten. Gleichzeitig tourten regelmäßig verschiedenste Delegationen aus Nordirland durch die BRD und warben um politische Unterstützung.
Ausgehend von derlei Beobachtungen fragt das Dissertationsprojekt: Welche transnationalen Netzwerke stellten zivilgesellschaftliche Gruppierungen aus Nordirland und der BRD her und wie veränderten sich diese im Verlaufe des Nordirlandkonflikts? Und welche Deutungen von Gewalt oder Gewaltlosigkeit lagen diesem Engagement jeweils zugrunde?
Die Bundesrepublik Deutschland, so eine Ausgangsüberlegung, stellt einen relevanten Referenzpunkt für eine transnationale Geschichte der Troubles und gesellschaftlichen Engagements in einem bewaffneten Konflikt dar: Die Britische Rheinarmee, die nach 1945 in der BRD stationiert war, bildete eines der hauptsächlichen Truppenkontingente für den britischen Militäreinsatz im Nordirlandkonflikt und wurde bald zum Kritikpunkt der westdeutschen, anti-imperialistischen Neuen Linken. Die britischen Militäreinrichtungen ließen die BRD eines der wenigen Anschlagsziele irisch-republikanischer Paramilitärs und ihrer Unterstützer*innen auf dem europäischen Festland werden. Gleichzeitig resonierte die nordirische Friedensbewegung in der BRD mit ihrem gesellschaftlichen Selbstbild als einer von Krieg und Teilung geläuterten Gesellschaft besonders stark, und westdeutsche Frauenverbände verhalfen nordirischen Aktivist*innen letztlich zum – umstrittenen – Friedensnobelpreis. Dieses Spannungsfeld der teils konträren Motivationen, Praktiken und Gewaltdeutungen transnational agierender, zivilgesellschaftlicher Aktivist*innen zwischen Nordirland und der BRD stelle ich in seinem historischen Verlauf in den Mittelpunkt meines Projektes. Meine Arbeit hinterfragt damit auch das Narrativ der überwiegend friedlichen Nachgeschichte des Zweiten Weltkriegs in Europa und bietet neue Perspektiven auf die internationale Bewegungsgeschichte der 1960er bis frühen 1990er Jahre.
(Bildnachweis Projekt-Foto: Michael Kipp/Umbruch Bildarchiv)