Forschungsprojekt
im Rahmen des Leibniz-Professorinnenprogramms von ZZF-Abteilungsleiterin Juliane Fürst „Nuclear Reaction on the Khreshchatyk: Ukrainian Society and its Path from Perebudova to Decoloniality, 1986-1994“
Als die 16-jährige Oksana Baiul aus Dnipro bei den Olympischen Winterspielen 1994 in Lillehammer den Eiskunstlaufwettbewerb der Damen gewann, stellte sich heraus, dass es keine Aufnahme der ukrainischen Hymne gab. Die Organisatoren schlugen vor, stattdessen die russische oder sowjetische Hymne zu spielen. Die ukrainische Delegation lehnte dies jedoch ab. Dieser Vorfall verdeutlicht, wie die Ukraine nach der Unabhängigkeitserklärung nicht nur einen internen Konsens bezüglich ihrer Identität und Einheit finden musste, sondern auch auf der internationalen Ebene von verschiedenen Akteuren in der neuen postsowjetischen Realität immer wieder infrage gestellt wurde.
Das Projekt analysiert den Weg von der Perebudova (das ukrainisch für Perestroika) zur Dekolonialität im Bereich des Sports als faszinierendes und aufschlussreiches Prisma, um die umfassenden sozialen und politischen Veränderungen auf dem Weg zur ukrainischen Unabhängigkeit besser zu verstehen. Auch in der Ukraine – einem Land, das für seine erfolgreichen Sportlerinnen, Sportler und Mannschaften bekannt ist – wurde der Sport als wichtiges Mittel zur Verbreitung politischer Ideen und zur Erzeugung öffentlicher Stimmungen wahrgenommen. Ab den späten 1980er Jahren wurde der Sport zunehmend zum Träger einer eigenständigen ukrainischen Identität und von Ideen der Unabhängigkeit. Er entwickelte sich zu einem wichtigen Motor für den Dekolonisierungsprozess in der Übergangszeit und diente als Bühne für Debatten darüber, was Unabhängigkeit bedeuten sollte. Die Untersuchung der Geschichte des Leistungssports ermöglicht es, diese Zeit aus verschiedenen Perspektiven zu erforschen: aus der Sicht ukrainischen Sportfunktionäre sowie Athletinnen und Athleten, über ihre Beziehungen zum (ehemaligen) Zentrum in Moskau sowie zur internationalen Gemeinschaft und durch die Analyse der Rolle internationaler Sportinstitutionen in diesem Zusammenhang. Dieses Projekt hat das Ziel, nicht nur die Geschichte des ukrainischen Sports im Wandel zu erzählen, sondern auch zu zeigen, wie dieser diejenigen verändert hat, die mit ihm verbunden waren.