In der Ära der Dekolonisierung wurde die sogenannte „Dritte Welt“ ein Ort um mehr Vielfalt im globalen Journalismus zu schaffen. Während Korrespondentinnen aus dekolonisierenden oder neu unabhängigen Staaten in den Weltnachrichten zuvor weitgehend ignoriert worden waren, rückte ihre Berichterstattung nun in den Fokus mehrerer linker Nachrichtenagenturen. Das Projekt konzentriert sich auf den Inter Press Service (Rom, 1964 - heute), insbesondere dessen „Third World“-Bereich, sowie auf den Gemini News Service (London, 1967 - 2002). Obwohl diese Agenturen im globalen Norden ansässig waren, inszenierten sie die südlichen Perspektive ihrer Korrespondentinnen, um Material an Zeitungen und andere Institutionen weltweit zu verkaufen. Damit versuchten sie, mit etablierten Agenturen mit kolonialistischen Wurzeln wie Reuters und Havas/Agence France Presse zu konkurrieren.
Mein Projekt untersucht die Möglichkeiten und Einschränkungen, die für alternative Berichterstattung bestanden – sowohl im Hinblick auf die Geschichten, die es wert waren, erzählt zu werden, als auch auf die Personen, die die Autorität hatten, sie zu erzählen. Es berücksichtigt eine Zeit, in der alternative Nachrichten sofort unter Verdacht standen, entweder westliche oder sozialistische Propaganda zu sein, während die insgesamt verfügbare Informationsmenge im globalen Norden als schnell steigend wahrgenommen wurde, im globalen Süden jedoch weiterhin als unzureichend galt.
Die Interaktionen und die sich verändernden Grenzen zwischen alternativen und etablierten Nachrichtenagenturen rücken mehrere Entwicklungen in den Fokus. Indem das Projekt die Karriereverläufe von Korrespondentinnen zwischen verschiedenen Medien betrachtet, wird gefragt, inwieweit alternative Narrative und Praktiken breitere Akzeptanz fanden. Gleichzeitig wird untersucht, inwieweit Narrative und Akteurinnen der „Dritten Welt“ neuen Einschränkungen und Erwartungen unterworfen waren. Mit der Zeit wandelten sich die alternativen Nachrichtenagenturen der 1960er Jahre von offen politischen Unternehmen, die die Welt in einem neuen Licht darstellen wollten, zu Nischenanbietern, deren Inhalte sich auf Schlagworte wie „Entwicklung“ reduzierten, sowie Geschichten über Personen, die als „menschlich interessant“ dargestellt wurden. Dies bedeutete, dass die Darstellung der Länder der Dritten Welt sich von einer Betonung von Unterschiedlichkeit hin zu einer Betonung der wesentlichen Gemeinsamkeiten der Menschen auf der ganzen Welt verschob.
Durch die Betrachtung der Akteur*innen und Praktiken, die an diesen Wandlungsprozessen beteiligt waren, trägt das Projekt zum Verständnis bei, wie die Berichterstattung über die Dritte Welt auf die Kategorie der „Entwicklung“ reduziert wurde und wie sich die Beziehungen zu fernen Menschen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts veränderten.