Forschungsprojekt
Machtasymmetrien zwischen westlichen Pharmakonzernen und dem sogenannten „Globalen Süden“ sowie deren gesundheitliche Folgen für große Teile der Weltbevölkerung sind immer wieder Thema in Diskussionen über weltweite Ungleichheit. Um viele Arzneimittel herzustellen, war und ist die Pharmaindustrie jedoch angewiesen auf Rohstoffe aus dem „Globalen Süden“. Die Beziehung gestaltet sich folglich kontingenter: Machtasymmetrien zwischen Pharmaindustrie und „Globalem Süden“ sind nicht selbstverständlich, sondern erklärungsbedürftig.
Anhand des als Malaria-, Herz- und Genussmittel genutzten Alkaloids Chinin und des zu seiner Herstellung nötigen Rohstoffs Chinarinde schreibt das Projekt eine politische Geschichte der Pharmaindustrie im „Globalen Süden“ im Zeitalter der Dekolonisierung. Es analysiert die Beziehungen Indonesiens und der Demokratischen Republik Kongo (bzw. Zaires), der größten Produzenten von Chinarinde, zu den europäischen Chininherstellern. Infolge der Dekolonisierung brachen die kolonialen, von einem Kartell aus Pharma- und Plantagenunternehmen beherrschten Produktions-, Distributions- und Konsumstrukturen von Chinin zusammen: Das Alkaloid und die Stellung europäischer Pharmakonzerne wurden Objekte von Aushandlungsprozessen zwischen einer Vielzahl von Akteur*innen. Das Projekt untersucht, warum europäische Pharmaunternehmen in diesem Prozess ihren Platz im Chiningeschäft behaupten konnten, obwohl Kongo/Zaire und Indonesien de facto ein Monopol auf Chinarinde besaßen.
Damit leistet das Projekt einen wichtigen Beitrag zur bisher wenig empirisch erforschten Geschichte westlicher Unternehmen in der postkolonialen Welt – und so zur Frage, wie sich globale Ungleichheiten nach dem Ende der Imperien konkret fortschrieben. Dabei hinterfragt das Projekt das dichotome Narrativ von mächtigen Pharmakonzernen und ohnmächtigem „Globalen Süden“. Stattdessen macht es die vielen Produzent*innen globaler Ungleichheit nach dem Ende der Imperien sichtbar.