12/2019: Bibliothekstausch

Foto: Ansgar Koreng: Erweiterungsbau des Deutschen Historischen Museums in Berlin-Mitte zur blauen Stunde / CC BY-SA 3.0 (DE)

Bildinfo

Das Feuilleton spricht von einem neuen Trend: statt alles neu zu kau­fen wird ge­teilt. Unter dem Schlag­wort „Sharing Economy“ wer­den auf ein­schlä­gigen Portalen Werk­zeuge, Baby­strampler und Nach­bar­schafts­hilfe an­ge­bo­ten. Wir prak­tizieren das Prinzip „Tauschen statt Kaufen“ schon etwas länger, zum Teil aus ökon­omischer Not­wendig­keit, aber auch, um mit ande­ren Ein­rich­tungen im Aus­tausch zu sein. Während aus­gewählte Biblio­theken ZZF-Pub­lika­tionen sofort nach Er­scheinen ge­liefert be­kommen, tref­fen auch bei uns regel­mäßig Päck­chen mit frischen Büchern aus be­freunde­ten Ein­rich­tun­gen ein. 
Ganz neu hin­zu­ge­kom­men ist das Deut­sche Histo­rische Museum (DHM), das uns Ende letz­ten Jah­res gleich drei Pa­ke­te mit neuen und älte­ren Aus­stellungs­katalogen ge­schickt hat, die wir alle noch nicht im Be­stand hatten. Zu den ein­ge­troffenen Schät­zen ge­hören:

Sparen. Geschichte einer deutschen Tugend, 2018 (ZZF 32323)

Tauschen ist ja nur eine Form des (Geld-)Sparens. Der neon­orange leuch­ten­de Ausstellungs­katalog entstand in Koope­ration mit einer Bank, die sich eher kamin­rot präsen­tiert und das Sparen (und nicht die Gewinn­maximierung) im Namen trägt: die Berliner Spar­kasse. In 14 Auf­sätzen u.a. von Jürgen Kocka und Johannes Bähr wird über den (nicht un­bedingt zwingenden) Zu­sammen­hang von Sparen und Bank­wesen vom 19. Jahr­hundert, als die Spar­kasse er­funden wur­de, bis in unsere Gegen­wart nach­gedacht, wenn etwa Carl-Ludwig Thiele nach der „Be­deutung des Bar­gelds als Wert­auf­bewahrungs­mittel“ fragt. Eigent­lich eher ein Sammel­band ist dieser Kata­log schön ge­stal­tet und mit etlichen an­sprechen­den farbigen Illustra­tionen versehen.

Christiane Blass: DDR-Souvenirs ... und sie nannten es „Sonderinventar“, 1994 (4° ZZF 32337)

Kennen Sie das auch? Der Ur­laub ist so schön wie ver­gäng­lich. Um sich wenigstens eine Erinnerung daran zu be­wahren, werden Souvenirs ge­kauft, die im heimi­schen Regal dann eher irritieren als er­freuen und die vor allem ver­stau­ben. Als 1990 dem im West­teil der Stadt ge­le­genen DHM das 1952 ge­gründe­te und im Zeug­haus unter­gebrachte Museum für Deut­sche Geschich­te über­tragen wurde, fiel den Museums­leuten aus dem Westen ein „Sonder­inventar“ be­nann­ter Be­stand auf, dessen Samm­lung eher skurril an­mute­te, denn er um­fass­te Erinnerungs­ge­schen­ke, die bei Staats­be­suchen im Aus­land oder in der DDR aus­ge­tauscht wurden. Die­sen beson­deren Souvenirs wid­met sich der unter­haltsame, drei­sprachig ge­hal­tene Bild­band, der u.a. ein Porträt Honeckers auf einem Wild­schwein­fell zeigt (ein Geschenk des äthiopischen Präsiden­ten Mengistu Haile Mariam) oder in Plexi­glas eingelasse­ne „Erde aus der Heimat Lenins“.  

Stefan Moses: Abschied und Anfang. Ostdeutsche Porträts 1989-1990, 1991 (4° ZZF 32335)

Stefan Moses (1928-2018), der seit 1950 in München ge­lebt hatte, reis­te vom Winter 1989/90 bis zur Wieder­ver­einigung immer wie­der in den Osten Deutsch­lands, um die dort leben­den Men­schen zu foto­grafie­ren. Das tat er nicht im Vorüber­gehen. Statt­dessen häng­te er ein weißes Tuch in den Ort, vor dem er die Men­schen in ihrer Arbeits­kleidung aufnahm. Statt des Namens sind die Berufe der Porträtier­ten ge­nannt, wie Köchin oder Kohlen­händ­ler, Stadt­planer oder ehe­malige Pilotin. Andere wer­den mit einer Auf­gabe oder Lebens­weise be­schrieben wie Stasi-Auflö­ser oder Haus­beset­zer. Bei eini­gen Bil­dern wirkt das Zu­sammen­spiel von Ge­zeigtem und Be­nennung un­frei­willig doppel­deutig, wenn etwa ein grimmig drein­blicken­des Imker­paar als „Bürger­meister, Partei­funktionär – PDS, Neetzow“ be­schrie­ben wird. Unter den als Schrift­steller, Maler oder Partei­vor­sitzen­de Be­zeichne­ten sind nicht weni­ge Be­kann­te zu finden.  

Klaus Honnef, Ursula Breymayer (Hg.): Ende und Anfang: Photographen in Deutschland um 1945, 1995 (4° ZZF 32333)

Von einem Ende und Anfang anderer Art er­zählt dieser Katalog, der 15 Foto­grafen und Foto­grafinnen vereint, die um 1945 in Deutsch­land waren – von Margaret Bourke-White über Robert Capa bis zu Jewgeni Chaldej. Einige der Bil­der sind zu Ikonen der Erinne­rungs­kultur ge­worden, ande­re dokumen­tie­ren das Kriegs­ende mit all seinen Wun­den an Häusern und Men­schen. Ruinen und Leichen, leere Gesich­ter und zer­bomb­te Städte – zu sehen ist eher eine Ausgangs­lage als ein Anfang. Oder, wie Simone de Beauvoir es nach einem Be­such in Berlin im Februar 1946 be­schreibt – und Klaus Honnef sie im Vor­wort des Bandes zitiert: „Die Dinge selbst hatten zu delirieren begonnen.“ Für einen Neu­anfang muss­ten erst die Toten be­erdigt und die Stra­ßen vom Schutt ge­säubert werden.

1945 – Niederlage, Befreiung, Neuanfang: zwölf Länder Europas nach dem Zweiten Weltkrieg, 2015 (4° ZZF 32322)

Aber nicht nur Deutsch­land und die Deutschen waren nach 1945 zer­stört und ver­wundet. Das national­sozialistische Deutsch­land hatte in vielen Ländern gewütet. Weltweit sind dem von Deutsch­land an­ge­zettel­ten Krieg mehr als 60 Millionen Menschen zum Opfer gefallen. Der Katalog von 2015 schaut auf die Kriegs­folgen und den Neuanfang in 12 europäi­schen Ländern, unter ihnen die drei alliierten europäi­schen Sieger­mächte, alle un­mittel­baren Nachbar­länder und Norwegen. In den Blick ge­nommen wer­den so­wohl die poli­tischen und ge­sellschaft­lichen Ent­wick­lungen der un­mittel­baren Nach­kriegs­zeit wie auch das Alltags­leben der Menschen, das an­hand von 36 exempla­risch aus­ge­wählten Bio­grafien ge­zeigt wird.

Olga Lander. Sowjetische Kriegsfotografin im Zweiten Weltkrieg, 2018  (4° ZZF 32325)

Auf einem Foto, das ein Treffen ehemaliger sowje­tischer Kriegs­fotogra­fen in den Redaktions­räumen von Sowjetskoe Foto in Moskau zeigt, sitzt in­mitten der 31 hoch­dekorier­ten Männer, unter ihnen auch Jewgenij Chaldej, eine ein­zige Frau: Olga Lander. 1909 ge­boren, studier­te sie Foto­grafie am Stroganow Institut in Moskau, um an­schließend für die Jugend­zeitung Komsomolskaja Prawda zu arbei­ten. Anfang 1943 wurde die Foto­grafin an die Süd­west­front ge­schickt, wo sie die Schlacht um Stalin­grad do­kumentieren konnte. Sie blieb sechs Jahre bei der Armee. In Öster­reich erlebte sie das Ende des Krieges und blieb dann noch drei Jahre bei den sowje­tischen Besatzungs­truppen in Rumänien. Ihre Fotos zeigen den All­tag der Sol­daten, den Krieg als Handwerk und die Kämpfen­den als Helden. Lander fotogra­fierte für eine täglich erscheinende Militär­zeitung. Es war ihre Aufgabe, das Kämpfen, Durch­halten und Siegen zu zeigen – nicht den Tod.    

Winfried Ranke: Deutsche Geschichte – kurz belichtet. Photoreportagen von Gerhard Gronefeld, 1937–1965, 1991 (4° ZZF 32326)

Gerhard Gronefeld (1911–2000) lernte ebenfalls das Foto­handwerk und ließ sich 1936 für die Olympischen Sommer­spiele als Foto­reporter akkreditie­ren. Im Zweiten Welt­krieg war er Mit­arbeiter einer Propaganda­kompanie der Wehr­macht. Zeit­weise hatte er den Status eines privile­gierten Sonder­bericht­erstatters inne. Nach Kriegs­ende arbeitete Gronefeld als Foto­reporter u.a. für die Neue Berliner Illustrierte in Ost­berlin und ab 1946 für das Life Magazin. Seit 1949 war er stän­diger Mit­arbeiter der Quick, wechselte 1964 zum Stern und spezialisierte sich später auf Tier­fotografie. Ende der 80er Jahre übernahm das DHM das Foto­archiv des Bild­licht­reporters, der sowohl den Krieg wie auch das aufkommende Wirtschafts­wunder­land abgebildet hat.

Brennpunkt Berlin: die Blockade 1948/49 ; der Fotojournalist Henry Ries, 2008 (4° ZZF 32321)

Eigentlich war Henry Ries mit seiner Familie als 20jähriger in die USA emigriert. Doch 1945 kehrte er als Soldat nach Europa zurück. Seit 1947 arbeite­te er als Foto­journalist für die New York Times und fotogra­fier­te u.a. die Nürn­berger Kriegs­verbrecher­prozesse und die Ber­liner Blockade. Ries fotogra­fier­te das West­berlin in der Zeit der Luft­brücke für ein amerikanisches Publikum, das verstehen soll­te, warum ein ehe­maliger Kriegs­gegner mit Nahrungs­mitteln unter­stützt werden sollte. Sechzig Jahre später erläutert Jochen Laufer im Aus­stellungs­katalog den Ur­sprung der Berlin-Krise und André Steiner erklärt die Währungs­reform sowie die Ver­sorgungs­lage in Berlin in den Jahren 1948/49. Henry Ries kehrte 1950 nach New York zurück. 2007 konnte das DHM den Nach­lass des Fotogra­fen erwerben.

Viel Spaß beim Stöbern in der Visual History
wünscht das Bibliotheksteam


(26.03.2019)