Es gibt Menschenfotograf*innen und solche, die lieber Landschaften in Bilder einfangen. Vielleicht ist das eine etwas schlichte Kategorisierung. Ich finde beides schwierig, Menschen in ein Bild einzufangen, das mehr erzählt als der Blick im Vorübergehen, oder Landschaften in einen Rahmen zu bringen, der den Raum dahinter ahnen lässt.
Helga Paris war beides, Menschen- und Landschaftsfotografin. Wobei Landschaften bei ihr zumeist Städte waren – Berlin, Halle (Saale), Leipzig, Rom. Sie hat Häuser wie Gesichter fotografiert. Häufig waren es alte Häuser mit Narben, Wunden und abgeblättertem Putz. Kriegsversehrte Gebäude oder altersschwache Hütten. Das mag an ihrer Biografie liegen. Helga Paris wurde 1938 in Gollnow, im heutigen Polen geboren. Ihr Abitur machte sie in Zossen, nahe Berlin, wo sie Modegestaltung studierte und 1966 in die Winsstraße zog, die so etwas wie ihr persönliches Open Air-Fotostudio wurde. Ende der 60er Jahre machte sich Helga Paris als Fotografin selbständig – in jedem Sinne des Wortes. Sie wurde DIE Fotografin Ostberlins, wie Annett Gröschner in ihrem Nachruf in der taz schrieb.*
Helga Paris fotografierte ihre Nachbarschaft konsequent in schlichtem Schwarz/Weiss. Grau ist schließlich bunt genug und lenkt nicht ab von dem Wesentlichen, dem Leuchten in den Gesichtern oder den zerschlissenen Fassaden der Häuser. Die Menschen, die sich von Helga Paris fotografieren ließen, waren oft jung, viel jünger als die Häuser, vor oder in denen sie stehen. Manche der Personen sind berühmt, andere tragen Kittelschürze und ein leises Lächeln. Fast alle schauen direkt in die Kamera – bzw. auf die Frau dahinter. Die Zugewandtheit der Fotografin ist in jedem der Gesichter zu lesen. 2008 hörte Helga Paris auf (professionell) zu fotografieren. Am Montag ist sie in ihrer Wohnung in der Winsstraße gestorben.
Wir haben in der ZZF-Bibliothek 4 Fotobände von Helga Paris:
Der 2006 vom Stadtmuseum Halle (Saale) neu herausgegebene Band „Diva in Grau: Häuser und Gesichter in Halle“ dokumentiert eine Ausstellung, die 1986 verboten wurde (4° ZZF 20070).
Einen Überblick ihres Werks gibt „Helga Paris Fotografie“ (2013, 4° ZZF 24576). 2020 erschien „Leipzig Hauptbahnhof 1981/82“ (ZZF 37842), ein Jahr darauf „Künstlerporträts“ (ZZF 37506).
Darüber hinaus ist sie vertreten in den Bildbänden
„Das pure Leben: Fotografien aus der DDR; Bd. 2: Die späten Jahre 1975-1990“ (4° ZZF 25940),
„Geschlossene Gesellschaft: künstlerische Fotografie in der DDR 1949-1989“ (4° ZZF 24071),
„Eros und Stasi: ostdeutsche Fotografie“ (4° ZZF 36335),
„Foto-Anschlag: vier Generationen ostdeutscher Fotografen“ (4° ZZF 14233),
„Ost sieht West, West sieht Ost: Deutschland im Frühjahr 1990“ (4° ZZF 24071) und
„Berlin, November 1989: 14 Fotografen aus Ost und West erleben die Öffnung der Mauer“ (4° ZZF 13006).
*https://taz.de/Helga-Paris-ist-tot/!5991050/
(08.02.2024)