Im Sommer 2021 haben wir viele, viele alte Zeitungen geschenkt bekommen und dies zum Anlass genommen, unser Zeitungsregal komplett neu zu sortieren. Die alten Jahrgänge unserer Tageszeitungen sind ab sofort unter dem Standort „Regale Großformate“ im Untergeschoß der Bibliothek zu finden.
Neu im Bestand haben wir einige linke Tageszeitungen aus der alten Bundesrepublik. Die Recherche nach den Erscheinungsverläufen erzählt auch ein Stück bundesdeutscher Zeitgeschichte, denn mit dem Verbot der KPD 1956 konnten einige Zeitungen nicht mehr erscheinen, wurden später neu gegründet, fusioniert oder aufgekauft.
Zu unserer Überraschung waren einige der Zeitungen nicht exakt in der zentralen Zeitschriftendatenbank nachgewiesen. Wir haben das korrigieren lassen, denn was nachweisbar existiert, kann auch gelesen und erforscht werden.
In diesem Sinne: Vorwärts, und nicht vergessen... und ja, Masken helfen auch gegen das Einatmen von Staub beim Sichten alter Zeitungen.
Neuer Vorwärts, Hannover (Z 724: 1954), Vorwärts, Westberlin (Z 722: 1955 – 1989); Vorwärts, NRW (Z 726: 1996 – 2010) und Der Neue Vorwärts, Wien (Z 721: 1949; 1951; 1953 – 1955)
1876 wurde von den beiden Wilhelms Liebknecht und Hasenclever die „Zeitung der Deutschen Sozialdemokratie“ der „Vorwärts“ gegründet. 1933 wurde er verboten, die Redaktion ging ins Exil und brachte die Zeitung bis 1940 unter dem Titel „Neuer Vorwärts“ in Prag und Paris heraus.
1948 erschien die erste Ausgabe des „Neuer Vorwärts“ als „Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands“, von dem wir das zweite Halbjahr 1954 im Bestand haben. Ab 1955 hieß die Zeitung wieder schlicht „Vorwärts“. Wir haben alle Jahrgänge bis 1989.
Seit 1996 gibt es eine Regionalausgabe in NRW, von der wir die Jahrgänge 1996 bis 2010 besitzen.
Aber auch in Wien gab es einen „Neuen Vorwärts“, der 1948 von dem Linkssozialisten Erwin Scharf begründet wurde und bis 1956 erschien. Wir haben davon immerhin fünf Jahrgänge im Bestand.
Unsere Zeit, Mannheim Stuttgart (Z 723: 1963 – 1967), Tatsachen, Duisburg (Z 725: 1965 – 1969) und Unsere Zeit, Essen (Z 727: 1990; 1992 bis 1999)
1962 brachte der Mannheimer Schlosser Eugen Straub vierzehntägig die Regionalzeitung „Unsere Zeit, unabhängige Zeitung für Südwestdeutschland“ (UZ) heraus. Im Dezember 1963 durchsuchte die Staatsanwaltschaft die Verlagsräume wegen des Verdachts, die UZ sei eine Parteizeitung der KPD. Im April verkaufte Straub daraufhin die UZ an den Gutmann-Verlag in Stuttgart, wo sie noch bis 1967 erschien. Im März 1965 mussten sich Straub und sein ehemaliger Redakteur Eberhard Weber dennoch vor dem Landgericht Karlsruhe wegen unterstellter Verfassungsfeindschaft rechtfertigen. Das Verfahren wurde später eingestellt. Wir haben etwas lückenhaft die Jahrgänge 1962 bis 1967 im Bestand.
Parallel zu der UZ erschien von 1961 bis 1969 im Ruhrgebiet die Wochenzeitung „Tatsachen“, von der im ZZF die Ausgaben ab 1965 vorhanden sind. Sie gilt als eigentliche Vorgängerin der seit 1969 – als die KPD als DKP neugegründet und nicht mehr verboten war – in Essen erscheinenden „sozialistischen Volkszeitung“ „Unsere Zeit“. Ihr stellvertretender Chefredakteur war zeitweise eben jener Eberhard Weber, der als alleiniger Redakteur in der Mannheimer UZ gewirkt hatte. Im ZZF haben wir die Jahrgänge 1990 und 1992 bis 1999 der inzwischen überregional erscheinenden UZ im Bestand.
Die Wahrheit, Westberlin (Z 734: 1959 – 1989)
1946 wurde die SED gegründet. Sie sollte nach dem Wunsch der sowjetischen Militäradministration als Nachfolgepartei von KPD und SPD agieren. Tatsächlich wurde sie nur auf dem Gebiet der späteren DDR zugelassen – und in Berlin. Mit dem Bau der Mauer galt die SED-W nicht mehr als unmittelbar der SED der DDR unterstellt und nannte sich in SED Westberlin um, seit 1969 hieß sie nur noch SEW. Sie galt als unabhängig von der bundesrepublikanischen KPD und war auch nicht verboten. Als Zentralorgan der SEW gilt „Die Wahrheit“, die von 1955 bis 1989 erschien. Wir haben lückenhaft die Jahrgänge ab 1959 im Bestand, aber auch die Beilage „Zeitgeschichte, Theorie, Dokumentation“, die ab 1968 erschien.
Hamburger Volkszeitung (Z 729: 1952 – 1954)
Die Hamburger Volkszeitung wurde bereits 1918 gegründet und erstmals 1933 verboten. Wiederbegründet 1946 wurde sie 1956 erneut verboten. Illegale Ausgaben erschienen noch bis 1962. Wir haben drei Jahrgänge aus den 50er Jahren im Bestand.
Neue Zeit, Saarbrücken (Z 730: 1951 – 1957)
Die „Zeitung des schaffenden Volkes an der Saar“, wie die „Neue Zeit“ im Untertitel hieß, war das „Organ der Kommunistischen Partei“ im Saarland. Die erste Ausgabe erschien am 22. Juni 1946, die letzte offizielle am 9. April 1957. Wir haben etwas lückenhaft die Jahrgänge ab 1951 im Bestand.
Deutsche Volkszeitung, Düsseldorf (Z 735: 1954 – 1960; 1982 – 1983)
Unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges erschien am 13. Juni 1945 die erste Ausgabe der „Deutschen Volkszeitung“. Benannt nach dem von 1936 bis 1939 im Prager Exil erschienenden Wochenblatt der KPD, war sie bis zur Gründung der SED das Zentralorgan der Kommunistischen Partei Deutschlands. Sie ging auf in das seit dem 23. April 1946 erscheinende „Neue Deutschland“.
In der Bundesrepublik erschien dann ab dem 12. Mai 1953 wieder eine „Deutsche Volkszeitung“, die sich als linksliberal verstand, aber auch kommunistische Autor*innen zu Wort kommen ließ. Besonders im Zuge der Studentenbewegung und im Kampf gegen die Notstandsgesetze positionierte sich die „Deutsche Volkszeitung“ als linke Wochenzeitung. Leider fehlen die 60er und 70er Jahre in unserem Bestand.
Die Tat, Frankfurt am Main (Z 732; 1957)
1983 fusionierte die „Deutsche Volkszeitung“ mit der „Tat“, der „Zeitung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“. Wir haben immerhin einen Jahrgang dieser Wochenzeitung im Bestand.
Sonntag, Ost-Berlin (Z 23: 1946 – 1990) und Freitag, Berlin (1990 –)
1990 wiederum fusionierte die „Deutsche Volkszeitung/die Tat“ mit der seit 1946 erschienenden DDR-Wochenzeitung „Sonntag“ zum „Freitag“, den wir bis heute abonniert haben.
(15.11.2021)