03/2015: Comics

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Unser dritter Newsletter widmet sich ganz und gar den Büchern, schließ­lich beginnt heute die Leipziger Buc­hmesse. Nun haben Bücher zumeist Un­mengen von Buch­staben und sind – zumal in unserer Ein­richtung – eher selten bunt von innen. Aber das muss nicht sein! Es gibt auch kunter­bunte Bücher mit ganz vielen Bildern. Sogar für Erwachsene! Auch bei uns! Sie glauben uns nicht? 
Dann lesen Sie: Comics als historische Quelle und danach unseren News­letter, in dem wir Comics über die und in der DDR vorstellen. Und dann können Sie ganz ernst­haft und mit wissenschaft­lichem Elan in unserer Comic-, oder wie es heute heißt: graphic novel-Abteilung stöbern kommen. Wir wünschen viel Spass! Ihr/Euer Bibliotheks­team

Olaf Schwarzbach: Forelle Grau (ZZF 26599) 
Aus der Berliner Zeitungs­landschaft ist er nicht weg­zu­denken, denn all die zittytiptagesspiegelzeitjungleworldberlinerzeitungen haben schon mal einige seiner gezeichneten bissigen Kommen­tare zum gentrifizierten Osten Berlins ab­gedruckt. Pünktlich zur Buc­hmesse hat OL nun seine Auto­biografie, nein: nicht gezeichnet, sondern auf­geschrieben. Geboren 1965 in Berlin, wuchs Olaf Schwarz­bach, wie OL aus­geschrieben und bürger­lich heißt, in Potsdam auf. Mit sech­zehn hat er zum ersten Mal Kontakt zur Staats­sicherheit, die ihn fortan Forelle nennt - viel­leicht wegen seines Nach­namens, vielleicht weil seine Persön­lich­keit so schillernd ist wie eine Regen­bogen­forelle. Als die Stasi während der Durch­suchung einer Wohnungs­ausstellung Kopien seiner system­kritischen Comics findet, verbrennt er die Original­zeichnungen und flieht in den Westen. OL erzählt seine ganz persön­liche tragikomische Ost-West-Geschichte - weil er ge­nervt ist von Erzählungen und Mythen über den Osten, die so gar nicht seinen Erinnerungen ent­sprechen, und weil er vieles anders sieht.

Micky Maus Spezial: 25 Jahre Mauerfall (ZZF 26622) 
Die bekannteste Comicfigur überhaupt ist Micky Maus. 1928 geboren, begeistert sie seitdem Comic-Fans weltweit. Das am 7. November 2014 erschienene Heft ent­hält ein 16-seitges Dossier zu „25 Jahre Mauerfall“. Da sich die Heft­macher auf die For­schungen unseres Hauses stützten, findet das ZZF nament­lich und mit Logo gebühren­de Erwähnung. Dieser wohl einmalige Tat­bestand verdient Sprechblasen wie „Aaaah!“ „Waaahnsinn!“ „Super!“, die wir hier leider nicht adäquat abbilden können. Das innen­liegende „Jubel­poster“ zeigt die Stars aus Enten­hausen auf der Mauer: Donald, Dagobert und Daisy Duck, natürlich Tick, Trick und Track und Minnie Maus. Die Panzer­knacker­bande sammelt fleißig Mauer­steine, während Micky Maus und Goofy feiern. Neben den Comic­strips wird in knappen Ab­sätzen vom „Bau der Mauer“ und ihrem Fall, von „Riskan­ten Fluchten“ und den Massen­demonstra­tionen berich­tet, erzählen berühm­te Politiker von ihren „Erinne­rungen an den Freuden­tag“, und eine Rubrik fordert auf: „Stell Dir vor, die Mauer würde immer noch stehen“.

Kitty Kahane: Treibsand – eine Graphic Novel aus den letzten Tagen der DDR (ZZF 26054) 
Kitty Kahane illustriert nicht nur Koch- und Kinderbücher, sondern entwirft hin und wieder auch das passende Geschirr dazu. Ihr kantiger Stil erinnert dabei an die Theater­plakate eines Volker Pfüller oder Henning Wagen­breth und ist doch so un­verkennbar, wie die Gesangs­stimme einer, sagen wir mal, Cyndi Lauper. Für den Metrolit Verlag hat sie die Geschich­te von Tom Sandman ge­zeichnet, die sich die Autoren Alexander Lahl und Max Mönch ausgedacht haben. Tom, der als Korrespon­dent gerade aus China, wo er Zeuge eines Massakers wurde, nach New York heim­gekehrt ist, wird sogleich wieder in ein Krisen­gebiet geschickt: nach Berlin, um über die Unruhen in der DDR zu berichten. Be­gleitet von üblen Zahn­schmerzen und wüsten Träumen reist er in ein unter­gehen­des Land und verschläft die Mauer­öffnung.

Thomas Henseler: Tunnel 57 – eine Flucht­geschichte als Comic (ZZF 26042) 
Aus der Perspektive eines Fluchthelfers erzählen die Comic-Autoren Thomas Henseler und Susanne Buddenberg von dem Bau eines Fluchttunnels im Jahre 1964 im geteilten Berlin: von den Vorbereitungen auf West-Berliner Seite, vom Graben des 145 Meter langen Tunnels nach Ost-Berlin, von der Tunnel­öffnung und der glück­lich verlaufenden Flucht am ersten Tag sowie von den drama­tischen Ereig­nissen am zweiten Tag, die schwer­wiegende Folgen haben soll­ten. Anhand von Zeit­zeugen­interviews, Original­fotos und Dokumen­ten haben die Autoren die Ereignisse um den Tunnel 57 rekonstruiert. Die historischen Hinter­gründe werden in einem Beitrag von Maria Nooke dargestellt, Interviews mit einem Flucht­helfer und seiner geflüchteten Freundin veran­schaulichen die Ereignisse aus deren Perspektive. Zudem gibt es ergänzende Materialien für den Schul­unterricht von René Mounajed und Stefan Semel.

Peter M. Hoffmann: Herbst der Entscheidung – eine Geschichte aus der Friedlichen Revolution 1989* (ZZF 26038) 
Leipzig im Herbst 1989: Der 17-jährige Abiturient Daniel, Sohn staats­treuer Eltern, soll sich – um studieren zu können – zu drei Jahren Armeedienst ver­pflichten. Er überwirft sich mit seinem Vater, haut von zu Hause ab, taucht in die Bürger­bewegungs­szene ein, verliebt sich in eine der Akteurinnen und gerät immer tiefer in den Sog der Ereig­nisse der Fried­lichen Revolution, die die DDR grundlegend verändern sollte. Die Geschichte von Bernd Lindner über das Erwachsen­werden und das Erwachen poli­tischen Bewusst­seins in stürmi­schen Zeiten wurde detailverliebt, mit einem klaren, fast schon harten Strich von Peter M. Hoffmann gezeichnet, da fehlt weder der RONDO-Kaffee noch die „Titanic“-Zonen-Gaby mit ihrer „ersten Banane“.

Simon Schwartz: Drüben! (ZZF 26037) 
Der 1982 in Erfurt geborene Illustra­tor (Selbst­bezeichnung) recherchierte für seinen Debüt­comic die Ausreise seiner Eltern aus der DDR nach Westberlin und erzählt von der nie ver­heilenden Wunde, die diese Ent­scheidung schlug. Denn während seine Großeltern väter­licher­seits zeitlebens An­hänger des sozialistischen Staates waren, mehrten sich im Umfeld von Simon Schwartz’ Eltern an­gesichts des rigiden staat­lichen Umgangs mit gemäßigten Regime­kritikern die Zweifel am System. Ohne jemanden zu informieren, stellten die jungen Eltern deshalb einen Aus­reise­antrag – und tatsächlich: nach diversen Schikanen wurden sie 1984 in einer „Hauruck­aktion“ quasi des Landes verwiesen. Die Groß­eltern väter­licher­seits ver­weiger­ten in Folge dieses „Verrats“ jeden Kontakt mit ihrem Sohn und dessen Familie. Schwartz’ hinterfragt in einem klaren, fast nüchter­nen Zeichen­stil die Hintergründe für die familiäre Nicht-Kommunikation. Während die DDR für die Groß­eltern – der jüdische Groß­vater musste die Verschleppung vieler Verwandter in die Vernichtungs­lager der Nazis miterleben – einen Schutz­raum bedeutete, wurde er für die nächste Generation immer mehr zu einer un­erträg­lichen Zumutung.

Mawil (d.i. Markus Witzel): Kinderland (ZZF 26032) 
Das kunterbunte, fast 300 Seiten starke Album erzählt eine klassische Coming-of-Age-Geschichte, nur eben aus einer besonderen Perspek­tive. Denn wir befinden uns im Sommer 1989. In der DDR. Noch bevor die großen Schritte in der Welt­politik an­stehen, tut sich schon einiges im Leben von Mirco Watzke, einem kleinen ängstlichen Jungen mit Brille, der weder besonders hübsch noch cool und schon gar nicht mutig ist. Sein Spitz­name: Heulsuse. Dieser sonst so vorbild­liche Schüler der 7a hat Ärger mit den blöden FDJlern und der Einzige, der ihm dabei helfen kann, ist an­scheinend aus­gerechnet ein selt­samer Neu­ling aus der Parallel­klasse namens Koslowski, ein Außen­seiter, ohne Vater und nicht mal bei den Thälmann­pionieren. Er ist groß und ruppig, aber mit Mirco kommt er ganz gut klar. Und dann ist da eben dieses Tisch­tennis. Die erste Sache, die Mirco wirklich gut kann. Sogar ein Schul­turnier will er veranstalten, das aus­gerechnet am 9. November statt­finden soll.

Thomas Kramer: Micky, Marx und Manitu (ZZF 23791) 
Der Literatur­wissenschaft­ler Thomas Kramer gab zunächst zwei „Mosaik“-Fan­bücher heraus, bevor er sich 2002 mit dieser Studie habilitier­te, die eingehend Zeit- und Kultur­geschichte im Spiegel eines DDR-Comics, eben des „Mosaiks“ untersucht. „Erst­mals wird hier der Ver­such unter­nommen, die Entstehungs- und Rezeptions­geschichte von Populär­kultur bzw. Trivial­literatur in Deutsch­land über ein halbes Jahr­hundert und in verschiedenen Systemen systematisch zu rekonstruieren“, schrieb H-Soz-Kult. Kramer befragte den langjährigen „Mosaik“-Autor Lothar Dräger nach seiner Lese­biografie und arbeitet beson­ders den hohen Stellen­wert Karl Mays heraus. Und so nimmt es nicht Wunder, dass die Digedags in der Amerika-Serie auf den Spuren Winnetous und Old Shatter­hands wandeln. Noch bis zum 18. März kann übrigens in Leipzig die von Thomas Kramer kuratierte Aus­stellung „Atze und Mosaik“ in der Hoch­schule für Grafik und Buch­kunst besichtigt werden. Wer also schon auf der Buch­messe ist, könnte dort vorbei­schauen…

„Schuldig ist schließlich jeder ... der Comics besitzt, verbreitet oder nicht einziehen lässt“ – Comics in der DDR: die Geschichte eines ungeliebten Mediums (1945/49-1990) (4° ZZF 4133) 
Das Buch erzählt von den vielfältigen Zeitungs- und Zeit­schriften­comics in der DDR, beginnend in den 1950er Jahren mit u. a. Werner Klemke, Erich Schmitt, Richard Hambach. Eine Zäsur bedeutete die Anti-Comic-Kampagne des Jahres 1955, die schließlich in die „Verord­nung zum Schutze der Jugend“ vom 15. September 1955 mündete. Aus dieser Verord­nung leitet sich auch der Titel des Wer­kes ab, da selbige nicht nur die Her­stellung, Ver­breitung oder Ein­fuhr so ge­nannter „Schund- und Schmutz­erzeugnisse“ unter Strafe stellte, sondern sogar den Besitz oder die Nicht-Ablieferung (westlicher) Comic­erzeugnisse. Fortan hießen ent­sprechende Druck­erzeugnisse in der DDR „Bilder­zeit­schriften“. Im Zentrum des Ausstellungs­kataloges steht das (heute noch) be­liebte „Mosaik“, berück­sichtigt werden aber auch „Atze“, die „Frösi“ und die ab den 80er Jahren be­ginnende Fan­zine-Szene. Hervor­zu­heben ist zudem die sorg­fältige Zusammen­stellung von Zeitungs- und Zeit­schriften­comics der DDR für den Zeit­raum von 1945 bis 1990.

Leichtmetall – Comics in der DDR: eine Dokumentation (4° UB 334) 
In den letzten Jahren der DDR gab es eine kleine Szene, die der Comic-Kunst zugetan war und die ihr ver­fügbare Logistik nutzte, kleinstauflagige Veröffent­lichungen heraus­zu­geben. Bereits im Jahre 1990 würdigte der Journalist Volker Handloik diese Szene mit einem groß­formati­gen Buch, das illustre, heute zum Teil renommier­te Künstler ver­sammelt, wie den Leipziger Schwarwel (der den Schweine­vogel er­fand und etliche Ärzte-Platten­cover entwarf), Ulf Graupner (arbeitete nach 1993 für das „Mosaik“ und die Abrafaxe, zeichnete „Ritter Runkel“ u. v. m.), BECK (auch aus Leipzig, erhielt 2013 zum vierten Mal den Deutschen Karikaturenpreis und zeichnet heute für u. a. zeittazeulenspiegelcicero), Anke Feuchten­berger (ver­öffentlicht seit 1993 groß­artige Alben, die in düstere sur­reale Welten ein­tauchen. Für ZeichnerInnen wie sie wurde das Genre „graphic novel“ erfunden!), ATAK (ist Mitbegründer der Comic-Gruppe Renate und wird in­zwischen immer wieder mal zum Gast­professor für Illustra­tion berufen)....

(12.03.2015)