Unser dritter Newsletter widmet sich ganz und gar den Büchern, schließlich beginnt heute die Leipziger Buchmesse. Nun haben Bücher zumeist Unmengen von Buchstaben und sind – zumal in unserer Einrichtung – eher selten bunt von innen. Aber das muss nicht sein! Es gibt auch kunterbunte Bücher mit ganz vielen Bildern. Sogar für Erwachsene! Auch bei uns! Sie glauben uns nicht?
Dann lesen Sie: Comics als historische Quelle und danach unseren Newsletter, in dem wir Comics über die und in der DDR vorstellen. Und dann können Sie ganz ernsthaft und mit wissenschaftlichem Elan in unserer Comic-, oder wie es heute heißt: graphic novel-Abteilung stöbern kommen. Wir wünschen viel Spass! Ihr/Euer Bibliotheksteam
Olaf Schwarzbach: Forelle Grau (ZZF 26599)
Aus der Berliner Zeitungslandschaft ist er nicht wegzudenken, denn all die zittytiptagesspiegelzeitjungleworldberlinerzeitungen haben schon mal einige seiner gezeichneten bissigen Kommentare zum gentrifizierten Osten Berlins abgedruckt. Pünktlich zur Buchmesse hat OL nun seine Autobiografie, nein: nicht gezeichnet, sondern aufgeschrieben. Geboren 1965 in Berlin, wuchs Olaf Schwarzbach, wie OL ausgeschrieben und bürgerlich heißt, in Potsdam auf. Mit sechzehn hat er zum ersten Mal Kontakt zur Staatssicherheit, die ihn fortan Forelle nennt - vielleicht wegen seines Nachnamens, vielleicht weil seine Persönlichkeit so schillernd ist wie eine Regenbogenforelle. Als die Stasi während der Durchsuchung einer Wohnungsausstellung Kopien seiner systemkritischen Comics findet, verbrennt er die Originalzeichnungen und flieht in den Westen. OL erzählt seine ganz persönliche tragikomische Ost-West-Geschichte - weil er genervt ist von Erzählungen und Mythen über den Osten, die so gar nicht seinen Erinnerungen entsprechen, und weil er vieles anders sieht.
Micky Maus Spezial: 25 Jahre Mauerfall (ZZF 26622)
Die bekannteste Comicfigur überhaupt ist Micky Maus. 1928 geboren, begeistert sie seitdem Comic-Fans weltweit. Das am 7. November 2014 erschienene Heft enthält ein 16-seitges Dossier zu „25 Jahre Mauerfall“. Da sich die Heftmacher auf die Forschungen unseres Hauses stützten, findet das ZZF namentlich und mit Logo gebührende Erwähnung. Dieser wohl einmalige Tatbestand verdient Sprechblasen wie „Aaaah!“ „Waaahnsinn!“ „Super!“, die wir hier leider nicht adäquat abbilden können. Das innenliegende „Jubelposter“ zeigt die Stars aus Entenhausen auf der Mauer: Donald, Dagobert und Daisy Duck, natürlich Tick, Trick und Track und Minnie Maus. Die Panzerknackerbande sammelt fleißig Mauersteine, während Micky Maus und Goofy feiern. Neben den Comicstrips wird in knappen Absätzen vom „Bau der Mauer“ und ihrem Fall, von „Riskanten Fluchten“ und den Massendemonstrationen berichtet, erzählen berühmte Politiker von ihren „Erinnerungen an den Freudentag“, und eine Rubrik fordert auf: „Stell Dir vor, die Mauer würde immer noch stehen“.
Kitty Kahane: Treibsand – eine Graphic Novel aus den letzten Tagen der DDR (ZZF 26054)
Kitty Kahane illustriert nicht nur Koch- und Kinderbücher, sondern entwirft hin und wieder auch das passende Geschirr dazu. Ihr kantiger Stil erinnert dabei an die Theaterplakate eines Volker Pfüller oder Henning Wagenbreth und ist doch so unverkennbar, wie die Gesangsstimme einer, sagen wir mal, Cyndi Lauper. Für den Metrolit Verlag hat sie die Geschichte von Tom Sandman gezeichnet, die sich die Autoren Alexander Lahl und Max Mönch ausgedacht haben. Tom, der als Korrespondent gerade aus China, wo er Zeuge eines Massakers wurde, nach New York heimgekehrt ist, wird sogleich wieder in ein Krisengebiet geschickt: nach Berlin, um über die Unruhen in der DDR zu berichten. Begleitet von üblen Zahnschmerzen und wüsten Träumen reist er in ein untergehendes Land und verschläft die Maueröffnung.
Thomas Henseler: Tunnel 57 – eine Fluchtgeschichte als Comic (ZZF 26042)
Aus der Perspektive eines Fluchthelfers erzählen die Comic-Autoren Thomas Henseler und Susanne Buddenberg von dem Bau eines Fluchttunnels im Jahre 1964 im geteilten Berlin: von den Vorbereitungen auf West-Berliner Seite, vom Graben des 145 Meter langen Tunnels nach Ost-Berlin, von der Tunnelöffnung und der glücklich verlaufenden Flucht am ersten Tag sowie von den dramatischen Ereignissen am zweiten Tag, die schwerwiegende Folgen haben sollten. Anhand von Zeitzeugeninterviews, Originalfotos und Dokumenten haben die Autoren die Ereignisse um den Tunnel 57 rekonstruiert. Die historischen Hintergründe werden in einem Beitrag von Maria Nooke dargestellt, Interviews mit einem Fluchthelfer und seiner geflüchteten Freundin veranschaulichen die Ereignisse aus deren Perspektive. Zudem gibt es ergänzende Materialien für den Schulunterricht von René Mounajed und Stefan Semel.
Peter M. Hoffmann: Herbst der Entscheidung – eine Geschichte aus der Friedlichen Revolution 1989* (ZZF 26038)
Leipzig im Herbst 1989: Der 17-jährige Abiturient Daniel, Sohn staatstreuer Eltern, soll sich – um studieren zu können – zu drei Jahren Armeedienst verpflichten. Er überwirft sich mit seinem Vater, haut von zu Hause ab, taucht in die Bürgerbewegungsszene ein, verliebt sich in eine der Akteurinnen und gerät immer tiefer in den Sog der Ereignisse der Friedlichen Revolution, die die DDR grundlegend verändern sollte. Die Geschichte von Bernd Lindner über das Erwachsenwerden und das Erwachen politischen Bewusstseins in stürmischen Zeiten wurde detailverliebt, mit einem klaren, fast schon harten Strich von Peter M. Hoffmann gezeichnet, da fehlt weder der RONDO-Kaffee noch die „Titanic“-Zonen-Gaby mit ihrer „ersten Banane“.
Simon Schwartz: Drüben! (ZZF 26037)
Der 1982 in Erfurt geborene Illustrator (Selbstbezeichnung) recherchierte für seinen Debütcomic die Ausreise seiner Eltern aus der DDR nach Westberlin und erzählt von der nie verheilenden Wunde, die diese Entscheidung schlug. Denn während seine Großeltern väterlicherseits zeitlebens Anhänger des sozialistischen Staates waren, mehrten sich im Umfeld von Simon Schwartz’ Eltern angesichts des rigiden staatlichen Umgangs mit gemäßigten Regimekritikern die Zweifel am System. Ohne jemanden zu informieren, stellten die jungen Eltern deshalb einen Ausreiseantrag – und tatsächlich: nach diversen Schikanen wurden sie 1984 in einer „Hauruckaktion“ quasi des Landes verwiesen. Die Großeltern väterlicherseits verweigerten in Folge dieses „Verrats“ jeden Kontakt mit ihrem Sohn und dessen Familie. Schwartz’ hinterfragt in einem klaren, fast nüchternen Zeichenstil die Hintergründe für die familiäre Nicht-Kommunikation. Während die DDR für die Großeltern – der jüdische Großvater musste die Verschleppung vieler Verwandter in die Vernichtungslager der Nazis miterleben – einen Schutzraum bedeutete, wurde er für die nächste Generation immer mehr zu einer unerträglichen Zumutung.
Mawil (d.i. Markus Witzel): Kinderland (ZZF 26032)
Das kunterbunte, fast 300 Seiten starke Album erzählt eine klassische Coming-of-Age-Geschichte, nur eben aus einer besonderen Perspektive. Denn wir befinden uns im Sommer 1989. In der DDR. Noch bevor die großen Schritte in der Weltpolitik anstehen, tut sich schon einiges im Leben von Mirco Watzke, einem kleinen ängstlichen Jungen mit Brille, der weder besonders hübsch noch cool und schon gar nicht mutig ist. Sein Spitzname: Heulsuse. Dieser sonst so vorbildliche Schüler der 7a hat Ärger mit den blöden FDJlern und der Einzige, der ihm dabei helfen kann, ist anscheinend ausgerechnet ein seltsamer Neuling aus der Parallelklasse namens Koslowski, ein Außenseiter, ohne Vater und nicht mal bei den Thälmannpionieren. Er ist groß und ruppig, aber mit Mirco kommt er ganz gut klar. Und dann ist da eben dieses Tischtennis. Die erste Sache, die Mirco wirklich gut kann. Sogar ein Schulturnier will er veranstalten, das ausgerechnet am 9. November stattfinden soll.
Thomas Kramer: Micky, Marx und Manitu (ZZF 23791)
Der Literaturwissenschaftler Thomas Kramer gab zunächst zwei „Mosaik“-Fanbücher heraus, bevor er sich 2002 mit dieser Studie habilitierte, die eingehend Zeit- und Kulturgeschichte im Spiegel eines DDR-Comics, eben des „Mosaiks“ untersucht. „Erstmals wird hier der Versuch unternommen, die Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte von Populärkultur bzw. Trivialliteratur in Deutschland über ein halbes Jahrhundert und in verschiedenen Systemen systematisch zu rekonstruieren“, schrieb H-Soz-Kult. Kramer befragte den langjährigen „Mosaik“-Autor Lothar Dräger nach seiner Lesebiografie und arbeitet besonders den hohen Stellenwert Karl Mays heraus. Und so nimmt es nicht Wunder, dass die Digedags in der Amerika-Serie auf den Spuren Winnetous und Old Shatterhands wandeln. Noch bis zum 18. März kann übrigens in Leipzig die von Thomas Kramer kuratierte Ausstellung „Atze und Mosaik“ in der Hochschule für Grafik und Buchkunst besichtigt werden. Wer also schon auf der Buchmesse ist, könnte dort vorbeischauen…
„Schuldig ist schließlich jeder ... der Comics besitzt, verbreitet oder nicht einziehen lässt“ – Comics in der DDR: die Geschichte eines ungeliebten Mediums (1945/49-1990) (4° ZZF 4133)
Das Buch erzählt von den vielfältigen Zeitungs- und Zeitschriftencomics in der DDR, beginnend in den 1950er Jahren mit u. a. Werner Klemke, Erich Schmitt, Richard Hambach. Eine Zäsur bedeutete die Anti-Comic-Kampagne des Jahres 1955, die schließlich in die „Verordnung zum Schutze der Jugend“ vom 15. September 1955 mündete. Aus dieser Verordnung leitet sich auch der Titel des Werkes ab, da selbige nicht nur die Herstellung, Verbreitung oder Einfuhr so genannter „Schund- und Schmutzerzeugnisse“ unter Strafe stellte, sondern sogar den Besitz oder die Nicht-Ablieferung (westlicher) Comicerzeugnisse. Fortan hießen entsprechende Druckerzeugnisse in der DDR „Bilderzeitschriften“. Im Zentrum des Ausstellungskataloges steht das (heute noch) beliebte „Mosaik“, berücksichtigt werden aber auch „Atze“, die „Frösi“ und die ab den 80er Jahren beginnende Fanzine-Szene. Hervorzuheben ist zudem die sorgfältige Zusammenstellung von Zeitungs- und Zeitschriftencomics der DDR für den Zeitraum von 1945 bis 1990.
Leichtmetall – Comics in der DDR: eine Dokumentation (4° UB 334)
In den letzten Jahren der DDR gab es eine kleine Szene, die der Comic-Kunst zugetan war und die ihr verfügbare Logistik nutzte, kleinstauflagige Veröffentlichungen herauszugeben. Bereits im Jahre 1990 würdigte der Journalist Volker Handloik diese Szene mit einem großformatigen Buch, das illustre, heute zum Teil renommierte Künstler versammelt, wie den Leipziger Schwarwel (der den Schweinevogel erfand und etliche Ärzte-Plattencover entwarf), Ulf Graupner (arbeitete nach 1993 für das „Mosaik“ und die Abrafaxe, zeichnete „Ritter Runkel“ u. v. m.), BECK (auch aus Leipzig, erhielt 2013 zum vierten Mal den Deutschen Karikaturenpreis und zeichnet heute für u. a. zeittazeulenspiegelcicero), Anke Feuchtenberger (veröffentlicht seit 1993 großartige Alben, die in düstere surreale Welten eintauchen. Für ZeichnerInnen wie sie wurde das Genre „graphic novel“ erfunden!), ATAK (ist Mitbegründer der Comic-Gruppe Renate und wird inzwischen immer wieder mal zum Gastprofessor für Illustration berufen)....
(12.03.2015)