Global Pharma: Chinin und die pharmazeutische Industrie in der postkolonialen Welt, ca. 1930 bis 1997

Beginn des Projektes: März 2024

Forschungsprojekt

Das Projekt untersucht die Verflechtungen der pharmazeutischen Industrie mit der kolonialen und postkolonialen Welt. Ausgangspunkt ist die Geschichte des Alkaloids Chinin, das auf Engste mit kolonialer Herrschaft verknüpft war. Nicht nur schützte es Europäer in den Tropen vor Malaria. Auch der für seine Herstellung nötige Rohstoff, die Rinde des Cinchona- oder Chinarindenbaumes (vor allem die Variante Cinchona Ledgeriana), bezogen europäische, amerikanische und nicht zuletzt auch deutsche Pharmaunternehmen seit dem späten 19. Jahrhundert von Plantagen in europäischen Kolonien. In den 1930ern wuchsen ca. 90 Prozent aller Chinarindenbäume auf Plantagen in Niederländisch-Indien. Koloniale Herrschaft sicherte die Versorgung von Pharmaunternehmen wie C.F. Boehringer & Soehne mit Rohstoffen. Die Dekolonisierung nach dem Zweiten Weltkrieg brachte dieses Arrangement ins Wanken: Durch die Unabhängigkeit der Kolonien betraten in Asien und Afrika neue Akteure die weltpolitische Bühne, die alternative Vorstellungen darüber verfolgten, wie Produktion und Verteilung von Medikamenten und die Weltwirtschaft generell ausgestaltet sein sollten. Auf diese neue weltpolitische Lage mussten sich die Pharmaunternehmen einstellen.

Anhand von Produktion, Vertrieb und Konsum von Chinarinde und des aus ihr gewonnenen Alkaloids Chinin analysiert das Projekt, wie Pharmaunternehmen in der kolonialen und postkolonialen Welt wirtschafteten. Im Zentrum stehen Niederländisch-Indien bzw. Indonesien sowie Belgisch-Kongo bzw. Zaire als wichtigste koloniale und postkoloniale Produzenten von Chinarinde und bedeutende Hersteller von Chinin. Indem das Projekt die vermeintliche weltwirtschaftliche Peripherie in den Fokus rückt, ermöglicht es auch einen neuen Blick auf die pharmazeutische Industrie, deren Verbindungen in die koloniale und postkoloniale Welt stärker waren als für gewöhnlich angenommen. Nicht-europäische Akteure wie postkoloniale Regierungen, lokale Landbesitzer oder die Zivilgesellschaft spielten in der Geschichte der Pharmaindustrie folglich eine größere Rolle als bisher bekannt. Indem das Projekt die pharmazeutische Produktion als Aushandlungsprozess zwischen ausländischen Unternehmen, kolonialen und postkolonialen Regierungen, lokalen Zivilgesellschaften und internationalen Entwicklungsorganisationen begreift, eröffnet es neue Perspektiven auf politische, soziale sowie wirtschaftliche Brüchen und Kontinuitäten im Prozess der Dekolonisierung; auf unterschiedliche Vorstellungen von Entwicklung; und auf den ungleichen Zugang zu lebensrettenden Medikamenten.

Dr. Tristan Oestermann

Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam
Am Neuen Markt 1
14467 Potsdam

Büro: Am Neuen Markt 1, Raum 1.21
Tel.: 0331/28991-80

E-Mail: tristan.oestermann [at] zzf-potsdam.de

Forschung

Global Pharma: Chinin und die pharmazeutische Industrie in der postkolonialen Welt, ca. 1930 bis 1997

Beginn des Projektes: März 2024

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Das Projekt untersucht die Verflechtungen der pharmazeutischen Industrie mit der kolonialen und postkolonialen Welt. Ausgangspunkt ist die Geschichte des Alkaloids Chinin, das auf Engste mit kolonialer Herrschaft verknüpft war. Nicht nur schützte es Europäer in den Tropen vor Malaria. Auch der für seine Herstellung nötige Rohstoff, die Rinde des Cinchona- oder Chinarindenbaumes (vor allem die Variante Cinchona Ledgeriana), bezogen europäische, amerikanische und nicht zuletzt auch deutsche Pharmaunternehmen seit dem späten 19. Jahrhundert von Plantagen in europäischen Kolonien. In den 1930ern wuchsen ca. 90 Prozent aller Chinarindenbäume auf Plantagen in Niederländisch-Indien. Koloniale Herrschaft sicherte die Versorgung von Pharmaunternehmen wie C.F. Boehringer & Soehne mit Rohstoffen. Die Dekolonisierung nach dem Zweiten Weltkrieg brachte dieses Arrangement ins Wanken: Durch die Unabhängigkeit der Kolonien betraten in Asien und Afrika neue Akteure die weltpolitische Bühne, die alternative Vorstellungen darüber verfolgten, wie Produktion und Verteilung von Medikamenten und die Weltwirtschaft generell ausgestaltet sein sollten. Auf diese neue weltpolitische Lage mussten sich die Pharmaunternehmen einstellen.

Anhand von Produktion, Vertrieb und Konsum von Chinarinde und des aus ihr gewonnenen Alkaloids Chinin analysiert das Projekt, wie Pharmaunternehmen in der kolonialen und postkolonialen Welt wirtschafteten. Im Zentrum stehen Niederländisch-Indien bzw. Indonesien sowie Belgisch-Kongo bzw. Zaire als wichtigste koloniale und postkoloniale Produzenten von Chinarinde und bedeutende Hersteller von Chinin. Indem das Projekt die vermeintliche weltwirtschaftliche Peripherie in den Fokus rückt, ermöglicht es auch einen neuen Blick auf die pharmazeutische Industrie, deren Verbindungen in die koloniale und postkoloniale Welt stärker waren als für gewöhnlich angenommen. Nicht-europäische Akteure wie postkoloniale Regierungen, lokale Landbesitzer oder die Zivilgesellschaft spielten in der Geschichte der Pharmaindustrie folglich eine größere Rolle als bisher bekannt. Indem das Projekt die pharmazeutische Produktion als Aushandlungsprozess zwischen ausländischen Unternehmen, kolonialen und postkolonialen Regierungen, lokalen Zivilgesellschaften und internationalen Entwicklungsorganisationen begreift, eröffnet es neue Perspektiven auf politische, soziale sowie wirtschaftliche Brüchen und Kontinuitäten im Prozess der Dekolonisierung; auf unterschiedliche Vorstellungen von Entwicklung; und auf den ungleichen Zugang zu lebensrettenden Medikamenten.

Dr. Tristan Oestermann

Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam
Am Neuen Markt 1
14467 Potsdam

Büro: Am Neuen Markt 1, Raum 1.21
Tel.: 0331/28991-80

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