
Tatiana Timofeeva
Lomonossow-Universität Moskau
Russische Föderation
E-Mail: vladimirka52 [at] yandex.ru
Projekt
Zwischen Demontage und Sowjetisierung:
Legitimationsmuster der Auswahl, Enteignung und Verlagerung von Kunst am Fallbeispiel Brandenburg, Februar 1945 - Sommer 1949
Bereits vor der Kapitulation des Dritten Reiches am 8. Mai 1945 akquirierte ein Sonderkomitee beim Rat der Volkskommissare der UdSSR, auf dem Vormarsch nach Westen arbeitsteilig mit sog. Beutekommandos der Roten Armee, Kunstgegenstände, die geeignet erschienen, russische Kunstverluste zu kompensieren. Nach dem Ende des Krieges übernahm diese Aufgabe die „Trophäenverwaltung“ bei der Sowjetischen Militäradministration (SMAD). Rechtlich wurde dieser Beutezug durch Befehle und Anordnungen der SMAD und der sowjetischen Regierung über die kompensatorische Restitution für sowjetische Kulturverluste im Krieg legitimiert.
Die weitere Verwendung der versetzten Kunst- und Kulturgüter unterlag den Entscheidungen sowjetischer Instanzen. Mindestens ein Viertel, etwa bis zu 250.000 Objekte, befindet sich laut offiziellen Angaben aus Moskau weiterhin im Besitz der Russischen Föderation. 1992 hob die russische Regierung die Geheimhaltungsstufe für die in Depots versteckten Beutekunstbestände auf. Danach gingen die russischen Museen dazu über, diese Bestände aus den Geheimlagern in ihren Ausstellungen zu zeigen. Der konservative Flügel im russischen Parlament forcierte 1998 die Verabschiedung des „Beutekunstgesetzes“, mit dem deutsches Kulturgut in Russland de facto verstaatlicht wurde[1].
Brandenburg fiel als Zentralregion auf dem Weg der Roten Armee nach Berlin falls zum ersten Opfer der ‚Rettung‘ der Kunst- und Kulturgüter, meistens von erstrangiger Bedeutung, vom Krieg. Nicht nur aus Potsdam, sondern aus vielen anderen großen und kleinen Städten wurden Archiv-, Bibliothek- und Museumsbestände abtransportiert.
Das Forschungsvorhaben wird weitgehend Neuland betreten und sich in erster Linie auf die Analyse der zahlreichen zugänglichen Materialen stützen, die in russischen und deutschen Archiven lagern. Methodisch hat sich die Wissenschaftlerin auf einen praxeologischen Ansatz der Erforschung stalinistischer Kulturpolitik konzentriert. In diesem Fall gilt es einerseits die Praxis sowjetischer Kulturpolitik am Beispiel der Umlagerung von fremden Kulturgütern, andererseits die Rolle der örtlichen deutschen Behörden archivalisch zu belegen und analytisch zu betrachten. Dafür sind folgende Leitfragen zu definieren:
Welchen Wandlungen unterlag die sowjetische Kulturpolitik, und worauf zielte der Transfer von Beutekunst aus Brandenburg in den Jahren 1945 – 1949 ab? Was sagen die Akten über die Rolle deutscher Behörden, Museen und Bibliotheken bei der Organisation und dem Ablauf der Erbeutung aus? Wie wurde der Kulturtransfer gesteuert, was wurde erfasst und was nicht? Wurde der Kulturtransfer seitens der ostdeutschen Behörden und Parteien mehr oder weniger widerstandlos hingenommen? Gab es Reaktionen der örtlichen Bevölkerung, und welche gesellschaftlichen Signale gingen davon für die weiteren Beziehungen zwischen der SMA Brandenburg, der SED-Einrichtungen (seit 1946) und der Lokalgesellschaft aus? Welchen Einfluss hatte der Mangel an Kultur für die Kulturpolitik und das Kulturangebot in den betreffenden kulturellen Einrichtungen in Brandenburg?
Die Hypothese lautet, dass es der sowjetischen Kulturpolitik, entgegen der nach außen postulierten ‚Kompensation‘ des Ersatzes für den NS-Kunstraub, nicht in erster Linie darum ging, die Verluste der einzelnen Kulturträger in der Sowjetunion eins zu eins zu ersetzen. Unter dem Schleier der ‚Kompensation‘ war ein ideologisch motivierter Prozess der Reorganisation der Kultur und ihrer Institutionen insgesamt in Gang gesetzt worden. Dies wird beispielsweise etwa an dem Plan erkennbar, mit den erbeuteten Kunstgegenständen in Moskau ein Trophäenmuseum zu Stalins Ehren einzurichten.
Konzeptionell versteht die Antragstellerin „deutsche Kunst- und Kulturgüter“ in ihrer gesamten Heterogenität: einzelne Exponate und Sammlungen aus privaten, staatlichen und öffentlichen Museen und Kunstgalerien, Archive, Büchereien, archäologische und naturwissenschaftliche Denkmäler sowie Gegenstände der materiellen Kultur, die im kulturellen Sinne bedeutend sind.
[1] Föderales Gesetz vom 15. April 1998 „Über die infolge des Zweiten Weltkrieges in die UdSSR verbrachten und sich auf dem Gebiet der Russischen Föderation befindenden Kulturgüter“ in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 25. Mai 2000.