
Krijn Thijs
Deutschland-Institut Amsterdam
The Netherlands
E-Mail: k.thijs [at] uva.nl
Projekt
Zeitgeschichte im Umbruch West- und Ostdeutsche Historiker und die Entstehungsjahre des ZZF (1989-1994)
Die ostdeutsche Revolution von 1989 und die Vereinigung der beiden deutschen Staaten 1990 brachte auch für die Geschichtswissenschaft einen Umbruch mit sich, der das Fach jahrelang beschäftigte. Die Aufgabe, das Erbe der DDR-Historiographie in eine vereinigte Wissenschaftslandschaft aufgehen zu lassen, rief bis Mitte der 1990er Jahre eine besonders heftige Kontroverse hervor, in der unterschiedliche Streitfragen in einem komplexen Gewirr verflochten waren. Es ging zunächst um die praktische Herausforderung der „Abwicklung“ staatssozialistischer Forschungseinrichtungen sowie um die Überleitung der zahlreichen ostdeutschen Historiker in bundesdeutsche Strukturen. Gestritten wurde um die angemessenen Kriterien einer fachlichen Evaluierung der DDR-Historiographie, um Aufgaben und Personalbesetzung neuer akademischer Einrichtungen und vor allem um die politischen, moralischen und personellen Dimensionen des Geschichtsbetriebes. Die Ereignisse konfrontierten das Fach mit den unvermuteten Herausforderungen des Diktaturerbes: Stasi-Akte, „Wendehälse“, gebrochene Biographien und grundsätzliche Fragen von fachlicher und menschlicher Glaubwürdigkeit. Die Welten der ehemaligen staatssozialistischen DDR-Historiker, ihrer ostdeutschen Kritiker und der westdeutschen Kollegen schienen kaum vereinbar. Im Ergebnis verschwand nahezu die gesamte Struktur der DDR-Geschichtswissenschaft aus dem akademischen Leben im wiedervereinigten Deutschland.
Die zwar umfangreiche Literatur zu diesem Thema ist bis heute sehr fragmentiert und besteht fast ausschließlich aus zeitgenössischen Beiträgen und Dokumentationen sowie aus Rückblicken von damals Beteiligten. Damit ist der Forschungsstand noch heute entlang der getrennten Diskussionsgemeinschaften des damaligen Streitfeldes gespalten. Das Projekt will eine erste systematische Zusammenschau dieser kontroversen Umbruchsereignisse vorlegen. Ziel ist eine multiperspektivische Erfahrungsgeschichte, die die Fachwelten in Ost und West in einem Interpretationsrahmen zusammenführt und in einer integrierten Gesamtdarstellung der Umbruchsjahre 1989-1994 in der deutschen Geschichtswissenschaft münden soll.
Im Sommer 2015 liegt der Arbeitsschwerpunkt auf der Geschichte des Unabhängigen Historikerverbandes und auf die ersten Jahre des Forschungsschwerpunkt Zeithistorische Studien in Potsdam.