Nachlese zum Vortrag von Thomas Lindenberger: »Totalitarismusforschung heute? Betrachtungen im Zwielicht von postkommunistischer Transformation und ›sozialen‹ Medien«

03.09.2020

Veranstalter:
Förderverein des Leibniz-Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam
in Kooperation mit dem ZZF

Unter ungewohnten Bedingungen und strengen Hygiene-Vorschriften konnte am ZZF am 3. September 2020 wieder eine Veranstaltung durchgeführt werden. Die meisten Zuschauer*innen verfolgten den Vortrag von Prof. Dr. Thomas Lindenberger (Direktor des Hannah-Arendt-Instituts der Technischen Universität Dresden) aber über den Live-Stream von zuhause aus. 
Prof. Dr. Helmut Knüppel, Vorsitzender der Freunde und Förderer des ZZF e.V. begrüßte einige wenige Gäste vor Ort und Prof. Dr. Frank Bösch, Direktor des ZZF führte thematisch in den Abend ein. 

Zum Vortrag:
»Totalitarismus« bedeutet immer beides: Analytisches Werkzeug zur systematischen Erforschung eines bestimmten Typus von Diktaturen im Zeitalter der Moderne, und zugleich Reflexion über die Gefahren, die der liberalen Demokratie westlichen Typs von innen her drohen, mit dem Ziel, diese gegen ihre Gegner zu verteidigen. Das Verhältnis zwischen wissenschaftlichem Konzept und politischem Instrument war nie fixiert, sondern starken Veränderungen unterworfen. Als die ersten Antifaschisten und Exilanten in den 1920er- und 1930er-Jahren mit diesem Begriff zu arbeiten begannen, konnte von einem »antitotalitären Konsens« noch keine Rede sein – der wurde dann für die westlichen Gesellschaften während der Hochzeit des Kalten Krieges zur Selbstverständlichkeit. Während der Periode der internationalen Entspannungspolitik verlor die Rede vom »Totalitarismus« dort an Zugkraft, während sie in den Kreisen der Dissidenz im östlichen Europa zu einem Eckstein der Systemkritik avancierte.

Nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs und der Befreiung von den kommunistischen Diktatoren entwickelte sich rasch ein unübersichtliches Gemenge des »Post-Totalitarismus«: In der internationalen Forschung stand der anfänglichen Wiederentdeckung des Konzepts seine kritische Überwindung gegenüber, zugleich konnte in der öffentlichen, außerwissenschaftlichen Diskussion über das Erbe von Nazismus und Kommunismus ein »antitotalitärer« Grundkonsens die unvermeidlich zu Tage tretenden Widersprüche und Konflikte moderieren, wenn nicht überdecken. Heute stellt sich angesichts des Aufstiegs antidemokratischer Bewegungen in Ost und West und des durch »soziale« Medien beschleunigten Zerfalls politischer Öffentlichkeiten die Frage, wie zeitgemäß »Totalitarismusforschung« noch – oder wieder – ist.

Fotos: Marion Schlöttke