
Daniel Siemens
Newcastle University, United Kingdom
E-Mail: Daniel.Siemens [at] newcastle.ac.uk
(Foto: Kathrin Kronast)
Projekt
Hinter der Weltbühne: Hermann Budzislawski, ein deutscher Jude im zwanzigsten Jahrhundert
Das Forschungsprojekt, das in eine Buchpublikation mit dem Aufbau-Verlag in 2022 münden wird, erforscht den ungewöhnlichen Lebensweg des heute vergessenen deutsch-jüdischen Intellektuellen Hermann Budzislawski (1901-1978). Er wurde vor allem als Herausgeber und bald auch Eigentümer der Neuen Weltbühne bekannt. Der geplante Buchtitel (Hinter der Weltbühne) ist bewusst doppeldeutig. Er bezieht sich einerseits auf das Leben Budzislawskis, das jener seit den 1930er Jahren und bis an sein Lebensende eng an das Schicksal „seiner“ Zeitschrift knüpfte. Die Reihe seiner berühmten Vorgänger – Siegfried Jacobson, Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky – suchte er um seinen eigenen Namen zu verlängern. Andererseits ist er auch wörtlich zu verstehen, denn die zu erzählende Geschichte ist tatsächlich eine von transnationaler Bedeutung, aber eben „hinter der Weltbühne“. Budzislawski war in den 1930er und 1940er Jahren einer der wichtigsten Knotenpunkte im Netz der antifaschistischen Linksintellektuellen in Europa und den USA. Er engagiere sich in der Nobelpreiskampagne für Carl von Ossietzky, arbeitete im Exil eng mit Heinrich Mann zusammen, recherchierte und schrieb einige Jahre als enger Vertrauter der US-amerikanischen Star-Journalistin Dorothy Thompson und probte nach Ende des Zweiten Weltkriegs mit Bert Brecht dessen Auftritt vor der „Kommission für unamerikanische Umtriebe“. Noch später, in der DDR, prägte er in den 1950er und 1960er Jahre eine ganze Generation „sozialistischer Journalisten“ und machte auch auf internationaler politischer Bühne für die DDR eine gute Figur.
Dass Budzislawski trotz dieses aufregenden Lebens heute vergessen ist, liegt unter anderem daran, dass sich nach der Wiedervereinigung Deutschlands im Jahr 1990 niemand mehr fand, der sich für ein „ehrendes Andenken“ des 1978 verstorbenen und zuvor vielfach ausgezeichneten politischen Professors und Publizisten eingesetzt hätte. Die Weltbühne, im Jahr der Wiedervereinigung noch einmal mit einer Millionen-Geldspritze der inzwischen in PDS umbenannten ehemaligen Staatspartei vor dem Konkurs gerettet, wurde 1993 eingestellt, als sich – wie bereits in der Geschichte der Zeitschrift mehrfach zuvor – eine neuerliche Auseinandersetzung um Eigentumsrechte abzeichnete. Ein familiärer Streit um das publizistische wie materielle Erbe Budzislawskis, wie ihn das folgende Buch ebenfalls im Detail nachzeichnet, führte außerdem dazu, dass dessen substanzielle persönlicher Nachlass lange Zeit im Privatbesitz der Nachfahren blieb und damit Journalisten und Wissenschaftler nicht oder nur punktuell zugänglich war. Gleiches gilt für das ehemalige Redaktionsarchiv der Neuen Weltbühne. Heute ist beides, von einigen weiterhin in Moskau lagernden Restbeständen abgesehen, nicht nur in der „Datenbank geschützter Kulturgüter“ der Bundesrepublik Deutschland verzeichnet, sondern auch tatsächlich Teil ihres Kulturbesitzes und kann in der Berliner Akademie der Künste eingesehen werden. Das geplante Buch wird maßgeblich, aber keinesfalls ausschließlich auf dieser Überlieferung sowie auf weiteren, zum Teil erstmals eingesehener Archivbestände in Deutschland, Frankreich und den USA basieren, lässt aber auch noch lebende Familienangehörige und Zeitzeugen zu Wort kommen.
Während seines Gastaufenthalts am ZZF arbeitet Professor Siemens an seinem Forschungsprojekt in der Abteilung III "Medien- und Informationsgesellschaft".