CfP: Vom Bittbrief zur Hassmail? Bürgerbriefe als politische Kommunikationsform. Theodor-Heuss-Kolloquium 2021

27.04.2020

Veranstaltungsort:
Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Tagungszentrum Hohenheim, Paracelsusstr. 91, 70599 Stuttgart
Datum der Tagung: 18.03.2021 - 19.03.2021

Veranstalter: Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus, in Kooperation mit dem Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam 
Leitung: Ernst Wolfgang Becker (Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus), becker [at] stiftung-heuss-haus.de /
Frank Bösch (Leibniz Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam), boesch [at] zzf-potsdam.de

CfP | Bewerbungsschluss: 31.05.2020

Vorschläge für Vorträge können zu einzelnen Fragestellungen, Politikern, Epochen oder politischen Ebenen eingereicht werden. Gebeten wird um einen kurzen Abstract von bis zu zwei Seiten (ca. 2500-6000 Zeichen) sowie einigen Angaben zum Forschungskontext und zur Person. Einreichungen erbitten wir bis zum 25. Mai 2020 an folgende Adressen:
Ernst Wolfgang Becker: becker [at] stiftung-heuss-haus.de
Frank Bösch: boesch [at] zzf-potsdam.de

Über die Tagung:
Die Kommunikation von Politikerinnen und Politikern wurde bislang vor allem mit Blick auf die Massenmedien und öffentliche Auftritte erforscht. Wenig Beachtung fand hingegen die sehr intensive direkte Kommunikation mit Bürgern. Bereits Theodor Heuss erreichten Anfang der 1950er Jahre nach eigener Aussage rund 300 bis 400 Briefe pro Tag, während Spitzenpolitiker heute tausende Mails und Schreiben bekommen. Diese Bürgerpost wurde und wird meist systematisch inhaltlich erfasst und von Politikern aufgegriffen, um vermeintliche Stimmungen in der Gesellschaft auszumachen. Ebenso kümmern sich Politikerinnen und Politiker um Antworten, mitunter mit erstaunlichem Aufwand. Neben den Reaktionen aus ihren Büros werden mitunter unterschiedliche Ministerien eingeschaltet, um fachkundige Reaktionen zu verfassen, und einzelne Briefe persönlich beantwortet.

Die Tagung sucht mit ihrem Fokus auf Bürgerbriefe in mehrfacher Hinsicht einen neuen Blick auf die Geschichte der politischen Kommunikation und Demokratie. Während für gewöhnlich die Kommunikation der Eliten betrachtet wird, blickt die Konferenz auf einen „von unten“ angeregten politischen Austausch. Im Unterschied zur veröffentlichten Meinung rücken damit individuelle Positionen und Haltungen in den Vordergrund. Sie zeigen etwa, welche Erwartungen jeweils an sie gerichtet wurden, um Abhilfe bei Problemen zu schaffen. Andererseits geben sie Auskunft darüber, wie Politiker ihre Arbeit und die Leitlinien ihrer Parteien bei individuellen Problemen rechtfertigten und wie sie gegebenenfalls aus Einzelfällen Lösungen entwickelten. Da Politiker mit der Veröffentlichung ihrer Antworten rechnen mussten, sind die Schreiben als ein Spagat zwischen individueller Positionierung und genereller Amts- und Parteiräson anzusehen und als eine besondere Form der Bindung an die Bürger, die diese Schreiben aufbewahrten und über sie berichteten.

Die Tagung konzentriert sich dabei auf Schreiben von Privatpersonen, die nicht als direkte Vertreter einer Interessengruppe auftraten und sich an einzelne Politiker oder Ministerien wandten. Untersucht werden soll der Wandel dieser Kommunikation in den unterschiedlichen Staatsformen seit dem Kaiserreich, wobei Deutschland und die Bundesrepublik im Vordergrund stehen sollen. Die Kommunikation von einzelnen Spitzenpolitikern findet besondere Beachtung, wird aber um weitere Politiker, Ministerien und Behörden bis runter zur kommunalen Ebene ergänzt und eingeordnet. Der zeitliche Vergleich erlaubt Aussagen über Kommunikationsformen, gesellschaftliche Stimmungen und artikulierbare Probleme.
Vor allem folgende Bereiche stehen im Vordergrund:

  • Motive für die Schreiben: Anhand der inhaltlichen Auswertung der Briefe sollen die Gründe ausgemacht werden, aus denen sich Bürger schriftlich an Politiker wenden. Anzunehmen ist, dass die Bewertung der Politik und individuelle Probleme oft einhergingen. Inwieweit waren die Anliegen durch öffentliche Debatten geprägt oder standen auch jenseits der jeweils medial behandelten Themen? Inwieweit sahen sie sich eher als Bittsteller oder als selbstbewusste Bürger? Umgekehrt ist zu fragen, unter welchen Bedingungen Politiker antworteten bzw. was die Erstellung einer individuellen Antwort förderte, die Abhilfe versprach.
     
  • Praktiken der Kommunikation: Zu fragen ist, wie sich die Struktur und Inhalte der Schreiben und Antworten im Laufe der politischen Systeme, der individuellen Persönlichkeiten und im politisch-kulturellen Wandel veränderten: Welchen Stellenwert haben starke Emotionen wie Hass, und in welchen Phasen nimmt dieser heute oft thematisierte Duktus zu? Auszumachen sind damit sich wandelnde Formen von Respekt und Autorität, von Distanz und Nähe sowie der Professionalisierung der Kommunikation auf beiden Seiten. Eine wichtige Frage bildet dabei, wie der mediale Wandel die Kommunikation veränderte.
     
  • Teilnehmer der Kommunikation: Anzunehmen ist, dass die Briefschreiber zunächst häufiger männlich waren und über eine gewisse Bildung verfügten. Inwieweit Frauen oder einfache Arbeiter sich an Politiker wandten, ist eine offene Frage, ebenso, welche spezifischen Themen, Argumentationen und Fragen von allgemeinem Interesse sie aufgriffen. Ebenso ist aber auch auf Seiten der Politikerinnen und Politiker zu fragen, welche Personen besonders häufig adressiert wurden und warum bestimmte Politiker ausgewählt wurden für ein Anschreiben.
     
  • Staats-, Politik- und Demokratieverständnis: Anhand der Anschreiben und Antworten lässt sich ausmachen, was für ein Staats- und Demokratieverständnis die Beteiligten hatten. Zu fragen ist, wie die Erwartungen an die Politik sich veränderten und vermutlich wuchsen, etwa mit dem Ausbau des Sozialstaats oder der Bewältigung der Kriegsfolgen. Aber auch die Diktaturen dürften die Erwartungen an die Politik erhöht haben.
     
  • Reaktionen: Erste Studien deuten an, dass die Bitten und Anfragen überraschend ernst genommen wurden, gerade wenn die Briefschreiber ihre bislang loyale Verbundenheit mit den Adressierten glaubhaft machen konnten. Bis in die 1960er Jahre scheint eine patriarchische Erfüllung von einzelnen Wünschen nicht unüblich gewesen zu sein, gerade bei den „Landesvätern“. Danach erfolgte anscheinend häufiger ein Verweis auf zuständige Spezialbehörden. Spitzenpolitiker reagierten erstaunlich engagiert auf lokale Konflikte, um deren Ausweitung zu Flächenbränden über die Medien zu verhindern. Besonders für die Diktaturen ist zu prüfen, wann Schreiben negative Konsequenzen haben konnten, sei es für denunzierte Personen, sei es für die Briefschreiber selber. Ebenso ist der Umgang mit notorischen „Querulanten“ zu analysieren, deren Briefe ab einer bestimmten Zeit nicht mehr beachtet wurden.

 

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CfP: Vom Bittbrief zur Hassmail? Bürgerbriefe als politische Kommunikationsform. Theodor-Heuss-Kolloquium 2021

27.04.2020

Veranstaltungsort:
Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Tagungszentrum Hohenheim, Paracelsusstr. 91, 70599 Stuttgart
Datum der Tagung: 18.03.2021 - 19.03.2021

Veranstalter: Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus, in Kooperation mit dem Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam 
Leitung: Ernst Wolfgang Becker (Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus), becker [at] stiftung-heuss-haus.de /
Frank Bösch (Leibniz Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam), boesch [at] zzf-potsdam.de

CfP | Bewerbungsschluss: 31.05.2020

Vorschläge für Vorträge können zu einzelnen Fragestellungen, Politikern, Epochen oder politischen Ebenen eingereicht werden. Gebeten wird um einen kurzen Abstract von bis zu zwei Seiten (ca. 2500-6000 Zeichen) sowie einigen Angaben zum Forschungskontext und zur Person. Einreichungen erbitten wir bis zum 25. Mai 2020 an folgende Adressen:
Ernst Wolfgang Becker: becker [at] stiftung-heuss-haus.de
Frank Bösch: boesch [at] zzf-potsdam.de

Über die Tagung:
Die Kommunikation von Politikerinnen und Politikern wurde bislang vor allem mit Blick auf die Massenmedien und öffentliche Auftritte erforscht. Wenig Beachtung fand hingegen die sehr intensive direkte Kommunikation mit Bürgern. Bereits Theodor Heuss erreichten Anfang der 1950er Jahre nach eigener Aussage rund 300 bis 400 Briefe pro Tag, während Spitzenpolitiker heute tausende Mails und Schreiben bekommen. Diese Bürgerpost wurde und wird meist systematisch inhaltlich erfasst und von Politikern aufgegriffen, um vermeintliche Stimmungen in der Gesellschaft auszumachen. Ebenso kümmern sich Politikerinnen und Politiker um Antworten, mitunter mit erstaunlichem Aufwand. Neben den Reaktionen aus ihren Büros werden mitunter unterschiedliche Ministerien eingeschaltet, um fachkundige Reaktionen zu verfassen, und einzelne Briefe persönlich beantwortet.

Die Tagung sucht mit ihrem Fokus auf Bürgerbriefe in mehrfacher Hinsicht einen neuen Blick auf die Geschichte der politischen Kommunikation und Demokratie. Während für gewöhnlich die Kommunikation der Eliten betrachtet wird, blickt die Konferenz auf einen „von unten“ angeregten politischen Austausch. Im Unterschied zur veröffentlichten Meinung rücken damit individuelle Positionen und Haltungen in den Vordergrund. Sie zeigen etwa, welche Erwartungen jeweils an sie gerichtet wurden, um Abhilfe bei Problemen zu schaffen. Andererseits geben sie Auskunft darüber, wie Politiker ihre Arbeit und die Leitlinien ihrer Parteien bei individuellen Problemen rechtfertigten und wie sie gegebenenfalls aus Einzelfällen Lösungen entwickelten. Da Politiker mit der Veröffentlichung ihrer Antworten rechnen mussten, sind die Schreiben als ein Spagat zwischen individueller Positionierung und genereller Amts- und Parteiräson anzusehen und als eine besondere Form der Bindung an die Bürger, die diese Schreiben aufbewahrten und über sie berichteten.

Die Tagung konzentriert sich dabei auf Schreiben von Privatpersonen, die nicht als direkte Vertreter einer Interessengruppe auftraten und sich an einzelne Politiker oder Ministerien wandten. Untersucht werden soll der Wandel dieser Kommunikation in den unterschiedlichen Staatsformen seit dem Kaiserreich, wobei Deutschland und die Bundesrepublik im Vordergrund stehen sollen. Die Kommunikation von einzelnen Spitzenpolitikern findet besondere Beachtung, wird aber um weitere Politiker, Ministerien und Behörden bis runter zur kommunalen Ebene ergänzt und eingeordnet. Der zeitliche Vergleich erlaubt Aussagen über Kommunikationsformen, gesellschaftliche Stimmungen und artikulierbare Probleme.
Vor allem folgende Bereiche stehen im Vordergrund:

  • Motive für die Schreiben: Anhand der inhaltlichen Auswertung der Briefe sollen die Gründe ausgemacht werden, aus denen sich Bürger schriftlich an Politiker wenden. Anzunehmen ist, dass die Bewertung der Politik und individuelle Probleme oft einhergingen. Inwieweit waren die Anliegen durch öffentliche Debatten geprägt oder standen auch jenseits der jeweils medial behandelten Themen? Inwieweit sahen sie sich eher als Bittsteller oder als selbstbewusste Bürger? Umgekehrt ist zu fragen, unter welchen Bedingungen Politiker antworteten bzw. was die Erstellung einer individuellen Antwort förderte, die Abhilfe versprach.
     
  • Praktiken der Kommunikation: Zu fragen ist, wie sich die Struktur und Inhalte der Schreiben und Antworten im Laufe der politischen Systeme, der individuellen Persönlichkeiten und im politisch-kulturellen Wandel veränderten: Welchen Stellenwert haben starke Emotionen wie Hass, und in welchen Phasen nimmt dieser heute oft thematisierte Duktus zu? Auszumachen sind damit sich wandelnde Formen von Respekt und Autorität, von Distanz und Nähe sowie der Professionalisierung der Kommunikation auf beiden Seiten. Eine wichtige Frage bildet dabei, wie der mediale Wandel die Kommunikation veränderte.
     
  • Teilnehmer der Kommunikation: Anzunehmen ist, dass die Briefschreiber zunächst häufiger männlich waren und über eine gewisse Bildung verfügten. Inwieweit Frauen oder einfache Arbeiter sich an Politiker wandten, ist eine offene Frage, ebenso, welche spezifischen Themen, Argumentationen und Fragen von allgemeinem Interesse sie aufgriffen. Ebenso ist aber auch auf Seiten der Politikerinnen und Politiker zu fragen, welche Personen besonders häufig adressiert wurden und warum bestimmte Politiker ausgewählt wurden für ein Anschreiben.
     
  • Staats-, Politik- und Demokratieverständnis: Anhand der Anschreiben und Antworten lässt sich ausmachen, was für ein Staats- und Demokratieverständnis die Beteiligten hatten. Zu fragen ist, wie die Erwartungen an die Politik sich veränderten und vermutlich wuchsen, etwa mit dem Ausbau des Sozialstaats oder der Bewältigung der Kriegsfolgen. Aber auch die Diktaturen dürften die Erwartungen an die Politik erhöht haben.
     
  • Reaktionen: Erste Studien deuten an, dass die Bitten und Anfragen überraschend ernst genommen wurden, gerade wenn die Briefschreiber ihre bislang loyale Verbundenheit mit den Adressierten glaubhaft machen konnten. Bis in die 1960er Jahre scheint eine patriarchische Erfüllung von einzelnen Wünschen nicht unüblich gewesen zu sein, gerade bei den „Landesvätern“. Danach erfolgte anscheinend häufiger ein Verweis auf zuständige Spezialbehörden. Spitzenpolitiker reagierten erstaunlich engagiert auf lokale Konflikte, um deren Ausweitung zu Flächenbränden über die Medien zu verhindern. Besonders für die Diktaturen ist zu prüfen, wann Schreiben negative Konsequenzen haben konnten, sei es für denunzierte Personen, sei es für die Briefschreiber selber. Ebenso ist der Umgang mit notorischen „Querulanten“ zu analysieren, deren Briefe ab einer bestimmten Zeit nicht mehr beachtet wurden.

 

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