Nachlese zur Tagung "Internalizing external experience. Perspektiven auf kommerzielle Beratung in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert"

Akademisch werden die Jahre 2020/2021 nicht nur als Zeit der digitalen Lehre, sondern auch der digitalen Tagungen im Gedächtnis bleiben. Während einige Konferenzen ausfallen mussten, wurden andere einstweilen verschoben oder ins Virtuelle verlegt. Ursprünglich für Anfang März in den Räumen des ZZF geplant, fand die Tagung "Internalizing external experience. Perspektiven auf kommerzielle Beratung in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert" am 1. und 2. Oktober ebenfalls vollständig im digitalen Raum statt. Die zehn Beiträger*innen erstellten ihre Vorträge vorab in Text- oder Videoform, sodass die zwei Tagungsnachmittage sich ganz auf die Diskussion der einzelnen Panels konzentrieren konnten. Anwesend waren hier neben den Beiträger*innen auch der Keynote Speaker Matthias Kipping (Schulich School of Business, York University) sowie interessierte Gäste aus dem Umfeld des ZZF.

Das Tagungsthema hat in jüngster Vergangenheit vermehrt Aufmerksamkeit erfahren: Kommerzielle Beratung in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft lieferte nicht nur periodisch Anlass zu kontrovers geführten medialen Debatten, sondern ist auch Gegenstand zeithistorischer Arbeiten geworden. Dennoch: Während insbesondere die wissenschaftliche Politikberatung in der deutschen Zeitgeschichte gut erforscht ist, gilt dies weniger für kommerzielle Formen der Beratung. Die Tagung, die von Sebastian Schöttler (HU Berlin), Alina Marktanner (MPI für Gesellschaftsforschung) und Rüdiger Graf (ZZF) organisiert wurde, vereinte daher empirische Beiträge aus unternehmens-, technik-, kultur- und medienhistorischer Perspektive. Dahinter standen die Fragen, welche Akteure sich hinter dem Etikett der „Beratung“ verbargen und wie der oft konstatierte „Beratungs-Boom“ in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu erklären ist.

Im Rahmen des bewusst offen gehaltene Begriffs der „kommerziellen Beratung“ wurden unterschiedliche empirische Schwerpunkte gesetzt. Neben der klassischen Strategie- und Organisationsberatung widmeten sich die Vortragenden auch psychologisch gestützten Angeboten der Marktforschung und Public Relations Beratung sowie technologisch orientierten Dienstleistungen der IT Beratung. Auch auf Klientenseite ergab sich mit Unternehmen und staatlichen Einrichtungen ein vielfältiges Bild. Florian Hoof (Leuphana Universität Lüneburg) und Sebastian Schöttler (HU Berlin) gingen auf unterschiedliche Zeiträume der modernen Beratungsbranche ein: Hoof betonte die visuelle Natur des Beraterwissens von Frank und Lillian Gilbreth um die Jahrhundertwende in den USA, während Schöttler auf die ersten Aufträge McKinseys beim Rheinstahl-Konzern der 1960er Jahre blickte. Alina Marktanner (MPI für Gesellschaftsforschung, Köln) und Marcus Böick (Ruhr-Universität Bochum) näherten sich kleineren und größeren Consultingfirmen insbesondere im öffentlichen Bereich. Dabei arbeiteten sie die Bedeutung der Wiedervereinigung für die Konjunktur der Unternehmensberatung heraus. Auch Franziska Rehlinghaus (Georg-August-Universität Göttingen) widmete sich der instrumentellen Funktion von Beratung in deutschen und internationalen Politikgremien, um die Etablierung der deutschen Weiterbildungsbranche in den 1970er Jahren zu erklären. Eva Schauerte (IKKM Weimar), Jan Logemann (Georg-August-Universität Göttingen) und Ingo Köhler (HU Berlin) untersuchten die Beratungsaktivitäten von Pionieren der US-amerikanischen und deutschen Werbebranche und Marktforschung. Wiederholt wurde hier die Frage aufgeworfen, ob die  Bezüge zur Psychoanalyse die Beratung substanziell prägten oder eher plakativen Charakter hatten. Nick Schwery (ETH Zürich) und Martin Schmitt (TU Darmstadt) wandten sich der Rolle von IT Beratern in der schweizerischen Verwaltung und bei deutschen Sparkassen zu. Ihre Beiträge verdeutlichten, dass IT-Berater*innen nicht allein als number crunchers zu verstehen sind, sondern komplexe Informationssysteme verkaufen.

In der Zusammenschau kristallisierten sich einige übergeordnete Dynamiken von Beratungsbeziehungen heraus. In allen angesprochenen Dienstleistungsgewerben positionierten sich Berater*innen an der Grenze unterschiedlicher Funktionsbereiche – seien dies Ebenen innerhalb einer Organisation, oder gesellschaftliche Felder wie Wirtschaft und Politik. Meist handelte es sich dabei um einen „Tauschhandel“ zwischen Ratgebenden und Ratsuchenden: Berater*innen erklärten sich selbst zu Expert*innen für vermeintlich oder tatsächlich vorhandene Probleme und erlangten finanzielle Zugewinne und Prestige; Klient*innen der Unternehmensführung oder öffentlichen Verwaltung wiederum profitierten von den organisationsfremden Ideen und der argumentativen Stütze durch „neutrale“ Außenstehende. Nicht zuletzt bewegten sich kommerzielle Beratungsprodukte stets zwischen den Polen von Wissens- und Legitimationsgewinn. Während sich alle Berater*innen in den Fallstudien auf die „wissenschaftlichen“ Grundlagen ihres Tuns beriefen, war dies häufig ein Weg, die eigenen Ratschläge – und damit Entscheidungen der Auftraggeber*innen – mit Glaubwürdigkeit zu versehen.

Das Wechselspiel aus Wissens- und Legitimationsproduktion griff auch Matthias Kipping (Schulich School of Business, York University) in seinem interaktiv gestalteten Abendvortrag auf. Der Unternehmenshistoriker, der auch selbst als Berater tätig gewesen war, wies darauf hin, dass sich externe Beratung volkswirtschaftlich nicht gerechnet habe. Stattdessen handele die Consultingbranche mit Legitimation unter dem „Deckmantel“ von Wissensangeboten. Bedrohungsszenarien von im Verborgenen wirkenden und dabei übermächtigen Berater*innen seien allerdings gegenstandslos; vielmehr lasse sich nachverfolgen, wie einschlägige Firmen Nachfrage erzeugt und den eigenen Beratungsstil zum Status Quo erhoben hätten.
Insgesamt gaben die Vorträge Anlass zu engagierten Diskussionen. Der Begriff der „kommerziellen Beratung“, so erhärtete sich der Eindruck in der Abschlussdiskussion, kann ohne nähere Eingrenzung kaum als Leitkategorie einer diachronen Erzählung dienen, weil die darunter fallenden Beispiele zu unterschiedlich sind. Dennoch kann die übergreifende Perspektive dazu dienen, den Blick für die verschiedenen empirischen Phänomene schärfen. Das letzte Wort zur Geschichte der Beratung ist somit noch nicht gesprochen.

Drei Videobeiträge können Sie unter den hinterlegten Links abrufen:

  • Alina Marktanner: "Unternehmensberater in der öffentlichen Verwaltung, 1950er bis 1970er Jahre – die Antihelden der Consultingbranche?"
  • Jan Logemann: "Kreative Forschung“ für Unternehmen? Die Selbstvermarktung neuer Marketingexperten in den 1940/50er-Jahren"
  • Marcus Böick: "'Können Sie mal helfen, Herr Berger?' Unternehmensberatung, Vereinigung und Wirtschaftsumbau nach 1990. Katalysatoren einer neo-liberalen „Ko-Transformation“?"
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Nachlese zur Tagung "Internalizing external experience. Perspektiven auf kommerzielle Beratung in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert"

Akademisch werden die Jahre 2020/2021 nicht nur als Zeit der digitalen Lehre, sondern auch der digitalen Tagungen im Gedächtnis bleiben. Während einige Konferenzen ausfallen mussten, wurden andere einstweilen verschoben oder ins Virtuelle verlegt. Ursprünglich für Anfang März in den Räumen des ZZF geplant, fand die Tagung "Internalizing external experience. Perspektiven auf kommerzielle Beratung in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert" am 1. und 2. Oktober ebenfalls vollständig im digitalen Raum statt. Die zehn Beiträger*innen erstellten ihre Vorträge vorab in Text- oder Videoform, sodass die zwei Tagungsnachmittage sich ganz auf die Diskussion der einzelnen Panels konzentrieren konnten. Anwesend waren hier neben den Beiträger*innen auch der Keynote Speaker Matthias Kipping (Schulich School of Business, York University) sowie interessierte Gäste aus dem Umfeld des ZZF.

Das Tagungsthema hat in jüngster Vergangenheit vermehrt Aufmerksamkeit erfahren: Kommerzielle Beratung in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft lieferte nicht nur periodisch Anlass zu kontrovers geführten medialen Debatten, sondern ist auch Gegenstand zeithistorischer Arbeiten geworden. Dennoch: Während insbesondere die wissenschaftliche Politikberatung in der deutschen Zeitgeschichte gut erforscht ist, gilt dies weniger für kommerzielle Formen der Beratung. Die Tagung, die von Sebastian Schöttler (HU Berlin), Alina Marktanner (MPI für Gesellschaftsforschung) und Rüdiger Graf (ZZF) organisiert wurde, vereinte daher empirische Beiträge aus unternehmens-, technik-, kultur- und medienhistorischer Perspektive. Dahinter standen die Fragen, welche Akteure sich hinter dem Etikett der „Beratung“ verbargen und wie der oft konstatierte „Beratungs-Boom“ in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu erklären ist.

Im Rahmen des bewusst offen gehaltene Begriffs der „kommerziellen Beratung“ wurden unterschiedliche empirische Schwerpunkte gesetzt. Neben der klassischen Strategie- und Organisationsberatung widmeten sich die Vortragenden auch psychologisch gestützten Angeboten der Marktforschung und Public Relations Beratung sowie technologisch orientierten Dienstleistungen der IT Beratung. Auch auf Klientenseite ergab sich mit Unternehmen und staatlichen Einrichtungen ein vielfältiges Bild. Florian Hoof (Leuphana Universität Lüneburg) und Sebastian Schöttler (HU Berlin) gingen auf unterschiedliche Zeiträume der modernen Beratungsbranche ein: Hoof betonte die visuelle Natur des Beraterwissens von Frank und Lillian Gilbreth um die Jahrhundertwende in den USA, während Schöttler auf die ersten Aufträge McKinseys beim Rheinstahl-Konzern der 1960er Jahre blickte. Alina Marktanner (MPI für Gesellschaftsforschung, Köln) und Marcus Böick (Ruhr-Universität Bochum) näherten sich kleineren und größeren Consultingfirmen insbesondere im öffentlichen Bereich. Dabei arbeiteten sie die Bedeutung der Wiedervereinigung für die Konjunktur der Unternehmensberatung heraus. Auch Franziska Rehlinghaus (Georg-August-Universität Göttingen) widmete sich der instrumentellen Funktion von Beratung in deutschen und internationalen Politikgremien, um die Etablierung der deutschen Weiterbildungsbranche in den 1970er Jahren zu erklären. Eva Schauerte (IKKM Weimar), Jan Logemann (Georg-August-Universität Göttingen) und Ingo Köhler (HU Berlin) untersuchten die Beratungsaktivitäten von Pionieren der US-amerikanischen und deutschen Werbebranche und Marktforschung. Wiederholt wurde hier die Frage aufgeworfen, ob die  Bezüge zur Psychoanalyse die Beratung substanziell prägten oder eher plakativen Charakter hatten. Nick Schwery (ETH Zürich) und Martin Schmitt (TU Darmstadt) wandten sich der Rolle von IT Beratern in der schweizerischen Verwaltung und bei deutschen Sparkassen zu. Ihre Beiträge verdeutlichten, dass IT-Berater*innen nicht allein als number crunchers zu verstehen sind, sondern komplexe Informationssysteme verkaufen.

In der Zusammenschau kristallisierten sich einige übergeordnete Dynamiken von Beratungsbeziehungen heraus. In allen angesprochenen Dienstleistungsgewerben positionierten sich Berater*innen an der Grenze unterschiedlicher Funktionsbereiche – seien dies Ebenen innerhalb einer Organisation, oder gesellschaftliche Felder wie Wirtschaft und Politik. Meist handelte es sich dabei um einen „Tauschhandel“ zwischen Ratgebenden und Ratsuchenden: Berater*innen erklärten sich selbst zu Expert*innen für vermeintlich oder tatsächlich vorhandene Probleme und erlangten finanzielle Zugewinne und Prestige; Klient*innen der Unternehmensführung oder öffentlichen Verwaltung wiederum profitierten von den organisationsfremden Ideen und der argumentativen Stütze durch „neutrale“ Außenstehende. Nicht zuletzt bewegten sich kommerzielle Beratungsprodukte stets zwischen den Polen von Wissens- und Legitimationsgewinn. Während sich alle Berater*innen in den Fallstudien auf die „wissenschaftlichen“ Grundlagen ihres Tuns beriefen, war dies häufig ein Weg, die eigenen Ratschläge – und damit Entscheidungen der Auftraggeber*innen – mit Glaubwürdigkeit zu versehen.

Das Wechselspiel aus Wissens- und Legitimationsproduktion griff auch Matthias Kipping (Schulich School of Business, York University) in seinem interaktiv gestalteten Abendvortrag auf. Der Unternehmenshistoriker, der auch selbst als Berater tätig gewesen war, wies darauf hin, dass sich externe Beratung volkswirtschaftlich nicht gerechnet habe. Stattdessen handele die Consultingbranche mit Legitimation unter dem „Deckmantel“ von Wissensangeboten. Bedrohungsszenarien von im Verborgenen wirkenden und dabei übermächtigen Berater*innen seien allerdings gegenstandslos; vielmehr lasse sich nachverfolgen, wie einschlägige Firmen Nachfrage erzeugt und den eigenen Beratungsstil zum Status Quo erhoben hätten.
Insgesamt gaben die Vorträge Anlass zu engagierten Diskussionen. Der Begriff der „kommerziellen Beratung“, so erhärtete sich der Eindruck in der Abschlussdiskussion, kann ohne nähere Eingrenzung kaum als Leitkategorie einer diachronen Erzählung dienen, weil die darunter fallenden Beispiele zu unterschiedlich sind. Dennoch kann die übergreifende Perspektive dazu dienen, den Blick für die verschiedenen empirischen Phänomene schärfen. Das letzte Wort zur Geschichte der Beratung ist somit noch nicht gesprochen.

Drei Videobeiträge können Sie unter den hinterlegten Links abrufen:

  • Alina Marktanner: "Unternehmensberater in der öffentlichen Verwaltung, 1950er bis 1970er Jahre – die Antihelden der Consultingbranche?"
  • Jan Logemann: "Kreative Forschung“ für Unternehmen? Die Selbstvermarktung neuer Marketingexperten in den 1940/50er-Jahren"
  • Marcus Böick: "'Können Sie mal helfen, Herr Berger?' Unternehmensberatung, Vereinigung und Wirtschaftsumbau nach 1990. Katalysatoren einer neo-liberalen „Ko-Transformation“?"
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